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Konservative Kritik am Frauenaktivismus (1852)

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Viele unserer heutigen milden und frommen Frauenvereine zur Heilung von allen möglichen sittlichen und socialen Schäden trifft derselbe Vorwurf. Der rechte Frauenverein ist das Haus. Wenn eine wohlhabende Frau einsam steht, dann soll sie sich vorerst umschauen, ob in ihrer Sippe keine Familie ist, bei der sie als „alte Tante“ einziehen kann und mitarbeiten am Hause. Es ist dieß immer noch ein stolzerer und weiblicherer Wirkungskreis denn Präsidentin mehrerer Frauenvereine zu seyn. Kann sie nicht alte Tante werden, dann gibt es vielleicht ein Kloster, wo sie arme Kinder erziehen und als in einem großen Hause mit den andern Nonnen zusammenleben und wirken kann. Schickt es sich aber auch mit dem Kloster nicht, dann möge sie in Gottes Namen Frauenvereine gründen und leiten. Ich weiß recht wohl, wie viel Frauenmilde, Frauenbarmherzigkeit, Frauenaufopferung in solchen Vereinen als in einem köstlichen Gefäß geborgen liegt. Ich weiß aber auch, daß gar oft das überweibliche Gelüsten die Männer nachzuahmen dahinter spuckt und daß die großartigsten Gedanken umfassender Association zur Hülfe in unsern socialen Nöthen häufig travestirt werden in diesem weiblichen Vereinswesen und dadurch unmöglich gemacht. Es gibt auch viele Frauen, die dadurch ihrem Hause ohne Gewissensbisse zu entschlüpfen wähnen, daß sie in einen milden, frommen Verein gehen. Aber ihr Gewissen wird eines Tages wach werden und wird ihnen sagen, daß eine Frau nicht gerecht werden kann vor dem Herrn, wenn sie nicht vorher gerecht worden ist vor ihrem Hause. Es ist am Ende bloß ein kleiner Unterschied, durch Erziehung und Lebensgewohnheit bedingt, ob man sich dem Hause entzieht, indem man im Verein sich mit Plänen zur Aufhülfe der nothleidenden Klassen unterhält oder im Literatenklubb über Freiheit und Gleichheit räsonnirt.

Ein merkwürdiges Zeugniß, wie ganz und gar der Begriff von dem Ernst und der Würde des Eheberufs in der zimperlichen Ueberweiblichkeit untergegangen ist, liegt darin, daß sich feine Damen am meisten geschmeichelt fühlen, wenn sie Einer gar nicht für Hausfrauen oder Mütter hält. Es ist hier bei dem weiblichen Berufe ganz dieselbe Erscheinung, wie wenn der Schneider sich schämt, ein Schneider zu heißen – ächtes sociales Philisterthum! Wo ist doch der Stolz der Frauen hingekommen auf den Ehestand als den „ächten Stand“, auf den Segen einer zahlreichen Familie und Verwandtschaft, auf das Haus mit allem was dazugehört, auf die selbstgesponnene Leinwand, auf deren Menge die Frauen vordem so ehrgeizig erpicht waren, wie der Bauer auf den größten Misthaufen. Denn beides war das sicherste Wahrzeichen glänzender Wirthschaft.

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Quelle: Wilhelm Heinrich Riehl, Die Familie, 2. Auflage. Stuttgart und Augsburg: J.G. Cotta, 1852, S. 67-71.

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