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Erich Mendelsohn, „Die internationale Übereinstimmung des neuen Baugedankens oder Dynamik und Funktion" (Auszüge, 1923)

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Diese Siloorganisation in Buffalo ist dafür ein schlagender Beweis. Der andere Komponent beruht in nichts anderem als in der Befähigung für die elementaren Voraussetzungen den architektonischen Ausdruck zu schaffen.

D. h. die technischen Bedingungen in den Raum zu übertragen, sie bis ins letzte Detail hinein in gegenseitige Abhängigkeit zu bringen, d. h. jene Übereinstimmung zu schaffen, die bei den besten Bauten alIer Zeiten die erstaunlichsten Messungswunder ergibt, jene wunderbare Zurückführung der gefühlsmäßigen Vorgänge auf mathematische Größen und geometrische Zusammenhänge. Somit sind also für das architektonische Schaffen zwei Komponenten notwendig.

Die erste, die des Intellekts, des Gehirns, der Organisationsmaschine, – wobei im Unterbewußtsein die räumlichen Ausdrucksmöglichkeiten oft schon blitzartig, visionshaft einstrahlen, – die zweite, auf der Basis der vorgenommenen Organisierung, die des schaltenden Impulses, des Bluts, des Temperaments, der Sinne, des organischen Gefühls. Erst die Vereinigung beider Komponenten führt zur Herrschaft über die Raumelemente: Der sinnlich greifbaren Masse und der übersinnlichen des Lichtes. – Erst ihre Vereinigung führt zur Massensteigerung oder zum Ausgleich der Massen.

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Aber erst aus diesen Wechselbeziehungen zwischen Funktion und Dynamik, zwischen Realität und Irrealität, Bewußtsein und Unbewußtsein, zwischen Vernunft und Gefühl, ZahI und Gedanke, zwischen Begrenztheit und Unendlichkeit ergibt sich die lebendige Schöpferlust, die Raumlust des Architekten.

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Gilt die enge Zusammengehörigkeit der Begriffe Funktion und Dynamik für das einzelne Haus, also für die Zelle, so erst recht für das große Zellensystem der Stadt. Wie ihre kleinste Einheit kein unbeteiligter Beobachter ist, sondern ein mitwirkendes Bewegungselement, so wird die Straße, dem schnellen Verkehr entsprechend, zur horizontalen Leitbahn, die von Schwerpunkt zu Schwerpunkt führt: also die kommende Stadt selbst ein System von Schwerpunkten, denn sie ist, wenn man mit weitester Optik sieht, in Wahrheit das eigentliche Raumsystem.

So gesehen ist die größte Stadt der heutigen Welt im Gegensatz zu den räumlichen Wundem der besten alten Städte eine unorganische Zusammenballung der gegensätzlichsten Elemente. Daran ändert auch nichts die kubische Erscheinung der einzelnen Wolkenkratzer – Aber unsere Zeit hat wie wenige in der ganzen Geschichte die Notwendigkeit vor sich, neue Städte von Grund auf entstehen oder zumindest ausdenken zu lassen.

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