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Kommerzielle Heiratsvermittlung und Boheme-Leben in der Großstadt: Auszüge aus Ernst Dronke, Berlin (1846)

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allgemeinen Waffe des heutigen friedlichen Bewußtseins, der „Demonstration“, zu Felde ziehen; es fällt ihnen nicht ein, etwas zu bekämpfen, was für sie nicht existiert. Sie wollen nur ihre innere überlegene „Fertigkeit“ zur Schau tragen. Wird ein Emanzipierter oder Freier als Zeuge vor Gericht geladen, so erklärt er dem Inquirenten mit der trockensten Ruhe, daß er die Sache wohl beschwören wolle, und in Erwägung der gesetzlich darauf bestimmten Strafe, den juristischen Begriff des Meineides im Auge halten werde; da er aber über die Ansicht von einem „Gott“ hinaus sei, so möge der Inquirent ihm nicht verargen, wenn ihm die Eidesformel ein Lachen abzwinge. Solche Szenen sind in Berlin mehrfach zum Schrecken harmloser märkischer Referendare vor Gericht vorgefallen. Über die Ehe sind die Emanzipierten ebenfalls tatsächlich hinaus. Entweder leben sie im „freien Verhältnis“, oder wenn sie dennoch aus Rücksichten auf Legitimitäts-, Erbschafts- oder andere Verhältnisse, welche von Beobachtung der Staatsgesetze abhängig sind, den legitimen Eheakt innehalten, so führt doch „Madame“ in der Gesellschaft ihren Familiennamen fort. Machen die beiden Gatten einen Besuch, so werden sie gewöhnlich als Herr Schmidt und Madame Fischer angemeldet. Ein Bekannter erzählte mir von der Trauung eines solchen emanzipierten Paares, welcher er beigewohnt, sehr ergötzliche Dinge. Herr und Madame wohnten bereits zusammen, als sie den Geistlichen zur Vollziehung der legitimen Ehe kommen ließen. Beim Eintritt des Pfarrers waren die Zeugen und der Bräutigam anwesend, nur die Braut, welche noch mit ihrer Toilette beschäftigt war, ließ einige Zeit auf sich warten. Als sie endlich kam, sah man dem Geistlichen seine Verwunderung darüber an, daß die Dame weder einen Myrthenkranz noch sonstigen festlichen Brautschmuck trug, sondern im einfachen Hauskleide erschien. Indes begann er die Handlung. Währenddessen benahmen sich die Zeugen in ziemlich auffallender Weise. Der eine, ein bekannter Schriftsteller, lag auf dem Sofa, die Beine über einen vor ihm stehenden Stuhl gestreckt und seinen Schnurrbart streichend; ein anderer stand am Ofen, die Hände in den Taschen und eine verkohlte Zigarre im Mund; die beiden letzten beschäftigten sich an einem anderen Fenster damit, die Vorübergehenden auf der Straße zu betrachten und kehrten während des ganzen Aktes der Versammlung den Rücken zu. Als es endlich zum Wechseln der Ringe kommen sollte, ergab es sich, daß keiner der beiden Gatten daran gedacht hatte, diese notwendigen Attribute herbeizuschaffen. Jeder Teil hatte geglaubt, daß der andere dafür Sorge tragen werde. Da auch keiner von den Zeugen im Besitz eines Ringes war, so wurden in Ermangelung eines Besseren zwei Ringe von den Fenstervorhängen gelöst und hiermit die Handlung vollzogen. Die jungen Eheleute luden darauf den Geistlichen ein, zu einer „Bowle“ bei ihnen zu bleiben, was jedoch der Mann Gottes unter dem Vorwand anderer dringender Pflichten ablehnte. Wahrscheinlich hatte das, was er in den wenigen Augenblicken hier erfahren, mehr als alle Überzeugung seiner Studien Berufsgedanken in ihm erweckt; wenigstens wurde nach seinem Scheiden von der Gesellschaft in triumphierender Weise über die Befangenheit philiströser Anschauung gelacht. – Die Emanzipierten sind übrigens unter sich wiederum sehr vereinzelt und in kleine Kreise zersplittert. Daß es eine Gesellschaft der „Freien“ gebe, ist nie der Fall gewesen, sondern nur aus einem falsch verstandenen Gerücht ziemlich allgemein verbreitet worden.



Quelle: Ernst Dronke, Berlin (1846). Ost-Berlin: Rütten & Loening, 1953, S. 26-27, 97-100.

Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung von Rütten & Loening, Berlin.

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