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Ein Journalist kommentiert die Notwendigkeit, der frühkindlichen Bildung mehr Aufmerksamkeit zu schenken (30. Juni 2006)

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Ohne zusätzliches Geld werde sich die Qualität der Kitas allerdings nicht verbessern, prophezeit Stefan Sell, Sozialökonom an der Fachhochschule Koblenz. Rund 0,5 Prozent seines Bruttosozialprodukts verwendet Deutschland für die frühkindliche Bildung und Betreuung. Das ist weit weniger, als Länder wie Frankreich (0,7), Dänemark (0,8) oder Norwegen (1,0) investieren, und weit von der Ein-Prozent-Marke entfernt, welche die OECD empfiehlt. Zudem sind die Elternbeiträge hierzulande so hoch wie sonst in kaum einem anderen Land. In Berlin beispielsweise beträgt der Höchstsatz monatlich 400 Euro für eine Tagesbetreuung.

Rund 2,7 Milliarden Euro wären laut Kinder- und Jugendbericht nötig, um für alle Kinder unter sechs Jahren, deren Mütter und Väter dies wollen, einen Ganztagsplatz zur Verfügung zu stellen – eine Milliarde weniger, als Familienministerin Ursula von der Leyen zukünftig für das Elterngeld ausgeben will. In Kindergärten wäre die Summe besser investiert, mangelt es heutigen Familien doch weniger am Geld als an Betreuungsplätzen. Doch der Bund darf nicht zahlen: Für die Kita-Finanzierung sind die Länder und dort vor allem die Kommunen zuständig. Deren Kassen aber sind leer. Umgekehrt fließen die finanziellen Erträge eines Kita-Ausbaus wiederum dem Bund zu, indem mehr arbeitende Frauen Geld in die Steuer- und Sozialkassen zahlen. »Warum sollte ein Bürgermeister da in seine Kitas investieren?«, fragt Ökonom Sell.

Der gesamtgesellschaftliche Ertrag einer guten Kinderbetreuung ist enorm. Doch bei einer derart komplizierten Gemengelage geht diese Einsicht leicht verloren. Einer berühmten amerikanischen Langzeituntersuchung zufolge wirft jeder Dollar, die der Staat in eine gute Früherziehung investiert, bis zu sieben Dollar Rendite ab: durch geringere Sozialhilfeausgaben, höhere Steuereinnahmen, abnehmende Kriminalität. Leider stellen sich die Gewinne erst nach Jahrzehnten ein, wenn die Kinder erwachsen sind und einen Job haben, statt Sozialhilfe zu beziehen – ein Zeithorizont, der eine Legislaturperiode übersteigt.



Quelle: Martin Spiewak, „Der Schatz der frühen Jahre“, Die Zeit, 30. Juni 2006.

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