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Ein Journalist kommentiert die Notwendigkeit, der frühkindlichen Bildung mehr Aufmerksamkeit zu schenken (30. Juni 2006)

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Didaktische Konzepte wie das »Zahlenland«-Material erfreuen sich in Kitas großer Nachfrage. »Anders als viele Lehrer sind Erzieher bereit, auch mal Freizeit für ihre Fortbildung zu investieren«, sagt GEW-Funktionär Hocke. Gleichzeitig jedoch fragten sich viele Kollegen, wie sie den neuen Anforderungen gerecht werden sollten. Das ist der Hauptwiderspruch der Kita-Offensive: Die Einrichtungen erhalten eine Menge zusätzlicher Aufgaben, aber kein zusätzliches Personal. Auch für Schulungen stellen die meisten Bundesländer kein Extrageld zur Verfügung.

Schon die Kindergartenplatzgarantie von 1996 hatte ihren Preis: Qualitätsstandards wurden gesenkt, Gruppen vergrößert, weniger qualifizierte Mitarbeiter eingestellt. Diese Politik wiederholt sich nun. »Alles soll anders und besser werden, doch es darf nichts kosten«, kritisiert Ilse Wehrmann, langjährige Leiterin der Bundesvereinigung Evangelischer Kindergärten. In Bremen etwa kommen auf eine Erzieherin 20 Mädchen und Jungen; viele stammen aus Migrantenfamilien. »Unter solchen Bedingungen ist es unmöglich, jedes Kind individuell zu fördern«, sagt Wehrmann.

Längst sprengen die neuen Aufgaben das enge Zeitkorsett, das den Kita-Alltag einschnürt. Lehrer verfügen über Stunden zur Unterrichtsvorbereitung; im Arbeitsalltag eines Erziehers sind dafür wenige Minuten vorgesehen. Ein Elterngespräch oder ein naturwissenschaftliches Experiment aber lassen sich nicht nebenbei planen. Das gleiche Dilemma trifft die Kinder. Muss man die ehrgeizigen Bildungspläne in den vorgesehenen vier Stunden am Vormittag abarbeiten, wird die Kita – Montag gibt es Mathe, Dienstag Biologie – schnell zur Schule. Doch die Jüngsten lernen spielerisch nebenbei, nicht im Stundentakt.

Das schöne neue Kita-Land Bundesrepublik existiert bislang vielerorts nur auf dem Papier. Das gilt besonders für die Prestigeobjekte der Frühförderung. Bundesministerin Annette Schavan (CDU) wirbt mit baden-württembergischen Bildungshäusern, in denen »Drei- bis Zehnjährige gemeinsam lernen«. Noch tun sie dies jedoch allein in der Koalitionsvereinbarung der neuen schwarz-gelben Regierung im Ländle.

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Ein Gegenbeispiel ist Rheinland-Pfalz, wo Bildungsministerin Doris Ahnen mit weniger Getöse, aber Substanz die Frühförderung anpackt. Das Land verzichtet (ähnlich wie das Saarland) auf die Elternbeiträge im letzten Kindergartenjahr und weitet den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz Stück für Stück auch auf die Zweijährigen aus. Gleichzeitig stellt es jährlich zwei Millionen Euro für Fortbildungen zur Verfügung, um den Erzieherinnen den Bildungsplan des Landes nahe zu bringen. Wie ein unsichtbares Curriculum soll er sich als roter Faden durch die Kita-Tage der Kinder ziehen.

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