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Die „Mutter aller Reformen” (8. November 2006)

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Jedes Bundesgesetz zog gemäß Artikel 84 Absatz 1 Grundgesetz in seiner bisherigen Form die Zustimmungspflicht des Bundesrates nach sich, wenn das Gesetz auch Regelungen zu seiner Verwaltung und Ausführung ? diese Aufgaben obliegen in Deutschland regelmäßig den Ländern ? enthielt. Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erstreckte sich die Zustimmungserfordernis in diesen Fällen allerdings eben nicht nur auf administrative Aspekte, sondern auch auf den politischen Inhalt der zu beschließenden Regelung. Dies eröffnete den Ländern weitgehende Einflussmöglichkeiten. Die Neufassung von Artikel 84 Absatz 1 Grundgesetz sieht demgegenüber vor, dass ein Bundesgesetz nunmehr zustimmungsfrei bleibt, wenn der Bund darin zwar auch die dazugehörigen Verwaltungsverfahren regelt, Abweichungen von diesen Verfahren in Form landesgesetzlicher Regelungen aber ausdrücklich zulässt. Der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze soll sich dadurch laut Gesetzesbegründung von bisher bis zu 60 vH auf etwa 35 vH bis 40 vH verringern. Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten: Die Zustimmungspflicht der großen Zahl an Gesetzen zu den Gemeinschaftssteuern (Artikel 105 Absatz 3 Grundgesetz) blieb durch die Reform unangetastet. Zudem wurde in Artikel 104a Absatz 4 Grundgesetz ein neuer Zustimmungstatbestand geschaffen, und zwar dann, wenn ? etwas vereinfacht gesprochen ? die Bundesgesetze mit einer Vergabe von Mitteln an Dritte aus den Länderhaushalten verbunden sind. Alles in allem ändern die genannten Vorbehalte allerdings nichts daran, dass dieser Teil der Föderalismusreform ausdrücklich zu begrüßen ist.

Positiv zu beurteilen ist ebenfalls die Abschaffung der Rahmengesetzgebung nach Artikel 75 Grundgesetz, in deren Bereich bislang zwei nacheinander geschaltete Gesetz-gebungsverfahren auf der Ebene des Bundes und der Länder erforderlich waren. Die entsprechenden Aufgabenbereiche wurden im Rahmen der Reform zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Insbesondere wurden die Gesetzgebungskompetenzen für die Besoldung und Versorgung der Landesbeamten und Landesrichter vom Bund auf die Länder überführt, in deren Haushalten die Personalausgaben eine große Rolle spielen und die in besonderem Maße von künftig stark steigenden Versorgungsausgaben betroffen sein werden. An die Stelle der Rahmengesetzgebung des Bundes im Hochschulbereich tritt eine auf die Regelung von Hochschulzulassung und Hochschulabschlüssen beschränkte konkurrierende Gesetzgebung, die mit einem Abweichungsrecht der Länder (Artikel 72 Absatz 2 Grundgesetz) verbunden ist. Allerdings kann die Dezentralisierung der Kompetenzen in einzelnen Bereichen auch kritisch gesehen werden. Auf dem Feld der Bildungspolitik beispielsweise fällt die Föderalismusreform: Ein Anfang ist gemacht 341 Organisation des Schulwesens zwar zurecht in den Aufgabenbereich der Länder, doch bedarf es weiterhin gemeinsamer, bundeseinheitlicher Leistungsstandards, an denen der in den einzelnen Ländern erzielte Bildungserfolg gemessen werden kann (JG 2004 Ziffern 588 ff.). Eine solche Festlegung zentraler Bildungsstandards kann im Prinzip durch die Kultusministerkonferenz der Länder erfolgen. Fraglich ist jedoch, ob sich die Kultusminister auf gleiche und in allen Ländern verbindliche Standards einigen können.

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Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Jahresgutachten 2006/07 „Widerstreitende Interessen – ungenutzte Chancen“, 8. November 2006, http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de.

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