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Rede von Friedrich Julius Stahl gegen eine Abschaffung der preußischen Verfassung (1853)

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In der Sache selbst erkenne ich das Gewicht der Beweggründe auf Seiten der Herren Antragsteller vollkommen an; sie bewegt die Anhänglichkeit an das alte Preußische Königthum, an die alte Verfassung und Geschichte dieses Landes; sie bewegt auch die Beschaffenheit unserer Verfassung. Es ist wahr, die Verfassung hat ihren Ursprung in den Barrikaden-Kämpfen; sie hat ihre Substanz in der ersten Arbeit der Verfassungs-Kommission der National-Versammlung; sie hat die Form und vielfach die Redeweisen der Revolutionen von 1791 und 1848, die doch gewiß auch der adäquate Ausdruck des Geistes dieser Revolutionen sind. Sie würde in ihren Wirkungen dem Lande tiefe Schäden anrichten, wenn sie nicht glücklicherweise meistens sich selbst neutralisirte. Wenn die Bestimmungen über Ministerverantwortlichkeit, die Bestimmungen über das Schulwesen ausgeführt würden, so wäre es ein schweres Unheil. Man kann sagen, unsere Verfassung ist in vieler Hinsicht nur dadurch eine Möglichkeit, daß sie keine Wirklichkeit ist. (Bravo und Heiterkeit.)

Die Verfassung ist ein Denkmal von dem schweren Falle Preußens; und so sehr man das Bewußtsein pflegen muß von ihrem Ansehen als Gesetz und als beschworenes Gesetz, eben so sehr muß man auch das Bewußtsein pflegen, daß sie, an einem höheren und heiligeren Gesetze gemessen, in vieler Hinsicht nicht besteht. Dessenungeachtet kann ich den Herren Antragstellern nicht beipflichten und schließe mich dem Antrage auf Tagesordnung an.

Daß der Ursprung eines Rechtszustandes aus Empörung noch kein absoluter Grund ist, diesen Rechtszustand selbst aufzugeben, ist von meinen Herren Vorrednern bereits bemerkt worden; die magna Charta, die Declaration der Rechte, die acte of settlement beruhen in England auf Empörung, und sie über Bord zu werfen, würde dennoch gewiß Niemand dort jenem Lande anrathen. Nun ist die Ansicht der Antragsteller allerdings die, daß die Verfassung nicht blos ihren Ursprung in der Empörung hat, sondern, was wohl davon zu unterscheiden, daß sie das Princip der Revolution in sich trägt. Es sei durch sie Preußen in die Reihe der constitutionellen Staaten eingetreten. Aber was heißt das, ein constitutioneller Staat? Wohin kommen wir, wenn wir mit Schulbegriffen in parlamentarischen Sachen verhandeln? (Bravo!)

Ist die Schwedische Verfassung, ist unser früherer Vereinigter Landtag, ist unsere jetzige Verfassung ohne Ministerverantwortlichkeit und ohne Steuerverweigerungsrecht ein constitutioneller Staat? Ich frage nach dem Begriff eines solchen; er soll nun in der Theilung der Gewalten liegen. Wie schon bemerkt worden, unter Theilung der Gewalten, welche die constitutionelle Doctrin aufgebracht hat, und die von Grund aus verwerflich ist, verstand und versteht man nichts anderes, als daß die Kammer die gesetzgebende Gewalt und der König die executive ist; daß aber eine Mitwirkung der Landesvertretung mit der Krone für die Gesetzgebung eine Theilung sei, das ist bis jetzt noch nirgend behauptet worden. In der Schwedischen Verfassung, in der Deutschen Reichsverfassung findet eine solche Mitwirkung statt, und diese sind doch weit älter als die constitutionelle Doctrin. Eben so der Einwurf der Majoritäten-Herrschaft. Ich bin in der sonderbaren Lage, hier die Majorität in Schutz nehmen zu müssen. (Heiterkeit.)

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