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Fritz Wildung, „Sport ist Kulturwille” (1926)

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In welcher Beziehung steht nun der Sport zu diesen Verfallserscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft? Bedeutet er eine Flucht aus der trostlosen Wirklichkeit in eine Scheinwelt, oder ist er ein Zeichen des Sichaufbäumens gegen den drohenden Untergang des Geschlechts. Er ist beides und mehr. Kein Zweifel: „Panem et Circenses“ (Brot und Spiele) gilt auch für unsre Zeit. Aber der moderne Proletarier ist nicht vergleichbar dem Lumpenproletarier des alten Roms. Ihm ist die Kraft des verstehenden Rebellen eigen, der sich nicht in sein Schicksal ergibt. Den Ring, der ihn einzwängt, sprengt er und sucht einen Weg ins Freie. Sport ist eine Rebellion gegen den drohenden Verfall, ein Willensausdruck zum Leben. Das junge Leben will nicht zermalmt werden in der Tretmühle des Wirtschaftsprozesses, sondern aufsteigen zu höheren Formen. Darum sucht es die lebensnotwendige Bewegung und das seelische Gleichgewicht in einer Arbeit, die ihm zugleich Kampf und Spiel und dazu ein Quell der Freude und des Wohlbefindens ist. So gesehen, ist der Sport eine Spielform der Arbeit und damit ein notwendiges Korrelat (Ergänzung) des heutigen Produktionsprozesses. In geistiger, körperlicher und seelischer Beziehung vermittelt er dem jungen Menschen das, was ihm die heutige Arbeit dank ihrer Entartung zur modernen Sklavenarbeit nicht mehr geben kann: lebensnotwendige Bewegung! Das ist der tiefste Sinn des Sports.

Aber, so fragen besorgte Leute, liegt in ihm auch nicht die Gefahr der Abkehr vom Geistigen und der Idee des Sozialismus? Ja und nein! Es kommt darauf an, den Sport dem Sozialismus dienstbar zu machen, indem wir den jungen Menschen zu der Erkenntnis bringen, daß der Sport an sich unschöpferisch ist, wenn nicht Hand in Hand mit ihm geht der soziale Kampf um die Besserung der Verhältnisse, gegen die er einen Protest bedeutet. Sport muß erliegen, wenn dem Menschen Zeit und Nahrung in einem Maße fehlen, das seine Ausübung unmöglich macht. Ein krankes Geschlecht kann keinen Sport pflegen; es muß sich in der Sorge um die Heilung seiner Schwären erschöpfen. Wir müssen dem jungen Geschlecht die Wahrheit einhämmern, daß es in der Entwicklung der Produktion keine Umkehr zu altväterlichen Methoden gibt, sondern die Arbeitsteilung weiter entwickelt werden muß, wenn eine starke Steigerung der Produktion, die eine Voraussetzung des Sozialismus ist, erreicht werden soll. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich dann von selbst die Nutzanwendung, daß nur eine weitgehende Verkürzung der notwendig seelenlosen Berufsarbeit und damit die Gewinnung von genügender Freizeit für die lebensnotwendige Betätigung auf allen Lebensgebieten die Rettung bringen kann. So beeinflußt, kann der Sport zu einem mächtigen Faktor für den Sozialismus werden, zumal er Schichten aufrüttelt, an die wir mit dem rein geistigen Rüstzeug nur schwer herankommen.

Ich darf diese Abhandlung schließen mit der Feststellung, daß Sport im besten und stärksten Sinne Kulturwille ist. Sorgen wir dafür, daß aus diesem Willen die befreiende Tat wird.



Quelle: Fritz Wildung, „Sport ist Kulturwille“, Kulturwille 5 (1926), S. 85.

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