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Der Auslandseinsatz (2. November 2006)

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Schulz ist am Computer mit GoogleEarth mal hingeflogen und auf ein wirres Geschachtel von Häusern hinabgestürzt. Sein Major sagt, dass es im November in Kabul eiskalt sein wird, auf 1800 Meter Höhe. Schulz kniet da gerade in flirrendem Baumschatten. Die Tage in Klietz wirken wie ein Sportfest. Am Ende wird Schulz in seiner Gruppe Neunter von vierzehn. In den Bäumen singen die Vögel, Schulz ist umgeben vom Soundtrack des Friedens. Der Einsatz ist noch fern wie ein Gewitter.

Unterdessen gehen in einem Waldstück 80 Kilometer weiter östlich, im Einsatzführungskommando der Bundeswehr bei Potsdam, wo hohe Militärs aus einer abhörsicheren Kommandozentrale heraus die weltweiten Einsätze koordinieren, besorgniserregende Nachrichten ein: In Afghanistan wird der Takt der Attentate immer schneller. Die Taliban sind zurück. In den Lageberichten ist das Land nicht mit der Farbe Grün gekennzeichnet wie Bosnien, auch nicht gelb wie der Kosovo. Afghanistan ist rot, und Rot bedeutet: »Lage nicht sicher, nicht stabil.«

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Als Schulz erzählt, wie er in diese Kaserne geraten ist, in seine Stube, in seine Uniform, dann klingt das so, als habe er sich seit 1989 zielstrebig hierher verirrt. In einem deutschen Vorort wie Lichtenrade konnte man die Welt leicht unterschätzen. »Das Leben war Party«, sagt Schulz mit einem schüchternen Lächeln, das verrät, dass ihm das heute etwas unangenehm ist. Doch damals war Politik nur Schulstoff, war Vergangenheit oder fernes, absurdes Welttheater, »im Nahen Osten zum Beispiel: Attentäter hier und Attentäter da«. Schulz erinnert sich an Kriege, die im Fernsehen nicht bedrohlich aussahen: »Erst wird ein amerikanischer Kampfjet von einem Flugzeugträger katapultiert – und dann kommt er wieder.« In sein Bewusstsein schlug das Weltgeschehen erst ein, als er vor fünf Jahren aus der Schule kam und Raumschiff Enterprise sehen wollte, dann aber auf RTL den ersten Turm einstürzen sah und dachte, als der zweite fiel, er sehe in Zeitlupe wieder den ersten. Schulz spürte am 11.September 2001 zum ersten Mal, »dass die Welt echt böse ist«. Ein halbes Jahrhundert Wohlstandsruhe und Weltstillstand waren zu Ende.

In den Medien machte das Wort »Globalisierung« Karriere, in der Schule hörte Schulz, wie wenig Jobs es draußen gebe. Die Politik sprach von der Bundeswehr als »Interventionsarmee«, Schulz rückte zum Grundwehrdienst ein. Als er am 1. Oktober 2005 Rekrut wurde, war Deutschland längst in einen Weltwettkampf geraten, nicht nur wirtschaftlich, auch politisch, demografisch, militärisch.

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Drei Wochen vor dem Abflug fällt im Panzergrenadierbataillon 421 das Wort »Afghanistan« so oft, dass alle nur noch »Afga« sagen. Es ist Mitte Oktober. Schulz schiebt einen Einkaufswagen durch die Kaserne. Er muss zur Einkleidung, er hat einen Laufzettel bekommen, auf dem steht, dass er »zwei Feldjacken, Tropen« und »zwei Paar Kampfschuhe heiß/trocken« erhält. In einer Halle warten Frauen in Kittelschürzen vor deckenhohen Regalen voller Stiefel, Helme, Hosen. Mit engen Augen blicken sie über ihre Brillen, schätzen Schulz ab wie früher die Verkäuferinnen bei C&A, verschwinden und kommen mit einem Stapel Uniformen wieder.

Schulz tauscht an diesem Tag den alten dunkelgrünen »Fleckentarn« der Bundeswehr gegen den neuen sandgrauen »Wüstentarn«. Es sind die Farben des Staubes und der Hitze, die er über seinen blassen Körper zieht, die Farben der Golfkriege. Die Bundeswehr trägt nicht mehr das Grün des deutschen Waldes, sie trägt die Farben des Weltkrisenherdes. Bundeswehr – wie alt der Name plötzlich klingt.

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