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Der Auslandseinsatz (2. November 2006)

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Schulz und seine Kompanie haben in Sachsen-Anhalt Quartier bezogen, in Klietz an der Elbe, in einer Kaserne, weiß und schön wie ein Museumsdorf. Am Schwarzen Brett jedoch warnen böse Nachrichten: Die Elbländische Terrororganisation ETO, heißt es da, gewinne an Macht, begünstigt durch Drogenhandel. Elbländische Warlords haben das Land unter sich aufgeteilt, Frauen werden unterdrückt, Männer hingerichtet, immer wieder gibt es Anschläge auf Bundeswehrpatrouillen. Die Soldaten hätten eigentlich nur die Hauptstadt Stendal unter Kontrolle.

Seit dem Morgen läuft Schulz auf einer »Infanteriebahn« durch dieses Fantasie-Afghanistan, in dem es von der Küche her nach Gulasch riecht. Seine Ausbilder haben vier Stationen aufgebaut, einen Testlauf für den Terrorkampf, mit Stoppuhren stehen sie unter Birken. Schulz muss Gewehre zusammensetzen und einen verletzten Soldaten bergen. Er muss den Satz »Ich stehe 500 Meter südlich des Gefechtsstandes und habe zwei feindliche Schützen aufgeklärt« für den Funk verschlüsseln und danach ein militärisches Quiz lösen: Wie viel Strich hat der Marschkompass? Wie viele Patronen passen ins P8-Magazin? Wie lautet der Kampfschrei der 1. Kompanie? Was heißt PAGNAAPPF? In Afghanistan wird keine Zeit für lange Worte sein. Schulz muss rennen, rennen, rennen, seine Füße platschen beim Laufen, er hat riesige Schuhe, Größe 49/50. Auf seinem Rücken schlenkert das Gewehr, der Sommer hat seinen Nacken gerötet. Man sieht, dass es ihm Spaß macht hier.

»Draußen ist jeder für sich, da ist Gleichgültigkeit«, sagt Schulz während einer Pause auf die Frage, warum er sich für die Bundeswehr entschieden hat. »Draußen ist jeder für sich« – das ist einer seiner ersten Sätze, gesprochen in einem kehligen Berliner Tonfall. Schulz sitzt auf einer Bank in der Sonne, ringt noch nach Luft. Seine Stimme ist überraschend leise für seinen großen Körper. Elf Monate ist er jetzt beim Militär, einer, der vor seinen Kameraden das Wort »Angst« hinter einem Schutzwall aus Begriffen wie »Respekt« und »Aufmerksamkeit« versteckt und seine Entscheidung für den Einsatz zunächst nur sehr lakonisch kommentiert. »Ob das jetzt Afghanistan, Usbekistan oder Iran ist, ist mir eigentlich egal.« Schulz spricht über sich, als sähe er sich selbst in einem Film, dessen weitere Handlung ihn unweigerlich nach Kabul führt, das fällt gleich auf, bei ihm, bei allen jungen Soldaten hier, die in der Mittagspause den Dreck aus ihren Stiefeln treten, als kämen sie gerade von einem Fußballplatz.

Man kann in Schulz’ Kompanie tagelang nach Sorgen fragen, niemand gibt ein Echo. Wer die deutsche Diskursgesellschaft verlässt und die Bundeswehr besucht, die direkt Beteiligten am neuen Weltszenario, die unteren Ränge, macht eine Reise in eine Kultur demonstrativer Gleichgültigkeit. Wahrscheinlich wird man nur so Soldat. Wahrscheinlich kann man nur so Soldat bleiben. Allerdings keimt auch eine erste Ahnung, dass die Armee für manchen Schutz vor dem ist, was Schulz »da draußen« nennt.

Schulz steht auf, er muss wieder los. Die nächste Übung heißt »Hubschrauber einweisen«. Mit den Armen rudernd, steht Schulz auf einer Wiese. Er weiß zu diesem Zeitpunkt, dass er in Kabul für Camp Warehouse eingeteilt ist, das internationale ISAF-Feldlager. Seine Vorgesetzten haben ihn in der Materialgruppe eingeplant: neue Waffen rein, alte Waffen raus. Schulz soll eine Materialschlacht für den Frieden schlagen, während seine Kameraden auf Patrouille gehen, Polizisten ausbilden, Entwicklungshelfer schützen. Schulz wird mit seinem gepanzerten Fuchs-Transporter auf der Route Violet zwischen Feldlager und Flughafen pendeln, 20 Minuten von einem Wachtturm des Westens zum anderen Wachtturm des Westens, dazwischen: Afghanistan.

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