GHDI logo

Deutschland und Russland (13. März 2006)

Seite 2 von 3    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Trotz der vielfältigen Begegnungen und Kooperationen, die Russen und Deutsche einander näher bringen, ist das Russlandbild in Deutschland nicht einheitlich. Auf Wirtschaftsveranstaltungen und bei ranghohen Begegnungen werden die guten Beziehungen herausgestellt, doch in den Medien wird Russland häufig sehr kritisch betrachtet. Anlass dafür sind nicht Probleme in den direkten Beziehungen beider Länder, sondern der Umgang des russischen Staates mit seinen Bürgern und mit den westlichen Nachbarstaaten: Einerseits Abbau von Demokratie, Schwächung des Parlamentarismus, Einschränkung der Pressefreiheit, Gewaltexzesse in Tschetschenien, Druck auf die GUS-Staaten Ukraine, Moldau und Georgien, die sich von Moskau entfernen wollen, andererseits Unterstützung des totalitären Lukaschenko-Regimes in Weißrussland sowie der separatistischen Kräfte in Transnistrien, Nordossetien und Abchasien.* Umgekehrt reagiert man in Russland sehr empfindlich auf derartige Vorhaltungen, bezichtigt die Kritiker der Unkenntnis der Verhältnisse, fühlt sich falsch verstanden und bevormundet. Dies ist exemplarisch in der Tschetschenien-Frage zu beobachten, wo die russische Seite sich als Kämpfer gegen den internationalen Terrorismus, als Verbündeter des Westens begreift und dafür vergeblich Anerkennung einfordert, ohne die negativen Auswirkungen der Präsenz der eigenen Truppen in Tschetschenien sowie im Nordkaukasus und der von Moskau dort installierten Regime wahrhaben zu wollen.** Trotz der breiten deutsch-russischen Gesprächsbasis ist nicht absehbar, dass sich die Auffassungen in den genannten Fragen annähern.

[ . . . ]

Werte und Interessen

Eine Folge des komplexen deutsch-russischen Verhältnisses ist es, dass ihm keine einfache Formel gerecht werden kann. Die Floskel von der Völkerfreundschaft ist durch die DDR-Praxis gründlich entwertet worden, weswegen wohl Bundeskanzlerin Angela Merkel auf sie verzichtete, als sie im Januar 2006 in ihrer neuen Funktion Präsident Putin in Moskau traf. Stattdessen bekräftigte sie die „strategische Partnerschaft“ mit Russland, auf die sich anlässlich des ersten deutsch-russischen Gipfeltreffens im Juni 2000 in Berlin bereits der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und Putin verständigt hatten.***

In Russland allerdings wird nicht verstanden, warum man gegenüber den „amerikanischen Freunden“ zurückgesetzt und ihnen „nur“ Partnerschaft, nicht „Freundschaft“ angeboten wird. Zu russisch-deutschen Missverständnissen führt, dass man in Russland unter „strategischer Partnerschaft“ eine Interessenallianz versteht. Für die russische Politik sind strategische Partner solche, mit denen man zum gegenseitigen Nutzen wichtige Projekte durchführt und Zielsetzungen teilt. Daher ist die Liste der strategischen Partner Russlands lang, und fast jedes Land der Erde könnte darauf erscheinen. Dagegen versteht man im außenpolitischen Diskurs der EU unter „strategischer Partnerschaft“, seit sie den Begriff in ihrer Gemeinsamen Strategie gegenüber Russland (1999) einführte, sowohl eine Interessenallianz wie auch eine Partnerschaft auf der Grundlage gemeinsamer Werte.**** Die entsprechende russische Mittelfristige Strategie (1999) der Beziehungen zur EU beschränkt sich dagegen bezeichnenderweise auf die Formulierung gemeinsamer Interessen ohne Bezug auf gemeinsame Werte.



* Zur Kritik des „Systems Putin" vgl. Heinrich Vogel, Rußland ohne Demokratie, SWP-Studie 38/2004, www.swp-berlin.org (1.2. 2006); Eberhard Schneider, Putins zweite Amtszeit, SWP-Studie 1/2006, www.swp-berlin.org (1.2. 2006).
** Vgl. Uwe Halbach, Gewalt in Tschetschenien. Ein gemiedenes Problem internationaler Politik, SWP-Studie 4/2004, www.swp-berlin.org (1.2. 2006).
*** Vgl. Christian Meier/Heinz Timmermann, Nach dem 11. September: Ein neues deutsch-russisches Verhältnis?, SWP-Aktuell 22/2001, S. 5, www.swp-berlin.org (1.2. 2006).
**** Vgl. Rolf Schuette, Interest and values: A European Perspective, Carnegie Paper 54/2004, www.carnegieen dowment.org/publications/ index.cfm?fa=view&id= 16269&prog=zru (1.2. 2006). Text der Gemeinsamen Strategie der EU gegenüber Russland: http://europa.eu.int/comm/external_relations/ceeca/com_strat/russia_99.pdf (1.2. 2006). Aber auch die EU verwendet den Begriff der strategischen Partnerschaft gelegentlich in einem eingeschränkten Sinn, wenn sie etwa von strategischen Partnerschaften mit der Mittelmeer-Region, China und ganz Afrika spricht.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite