GHDI logo

Die Konservativen: Friedrich Julius Stahl: „Was ist die Revolution?” (1852)

Seite 6 von 11    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Die Revolution ist deshalb die äußerste Sünde auf dem politischen Gebiete. Nehme man andere, auch noch so schwere Verschuldungen, Usurpation, Tyrannei, Unterdrückung der Gewissen, — so sind das Uebertretungen von Gottes Ordnung. Aber sie sind doch nicht die grundsätzliche Aufhebung von Gottes Ordnung, nicht der Trotz gegen das Ansehen von Gottes Ordnung, um das Ansehen menschlicher Ordnung an ihre Stelle zu setzen. Darum, bei gleichem Grade ist immer die Sünde auf Seite der Revolution schwärzer, als auf der andern. Die Pariser Bluthochzeit war ein bis dahin unerhörter Gräuel. Vielleicht hat jene himmelschreiende Missethat die Revolution als Verhängniß heraufbeschworen; vielleicht fiel das unschuldige Haupt Ludwigs XVI. als Sühne für die Blutschuld Carls IX. Aber selbst die Sünde der Bluthochzeit verblaßt gegen jenes systematisch feierliche Würgen in den Jahren des Schreckens, da sie nicht einmal vermeinten, Gott einen Dienst zu thun, sondern die Opfer an den Altären der Volksvergötterung schlachteten.

Man wendet mir vielleicht ein: Wie kann die Revolution so absolut verdammlich sein, da sie doch unstreitig hohe Güter gebracht hat? Wollte man etwa den Zustand vor 1789 zurückwünschen: die unbeschränkte Willkür des Königs, lettres de cachet auszufertigen, die Herabwürdigung der Bürgerlichen unter den Geburtsadel, die Leibeigenschaft der Bauern, die Rechtlosigkeit aller derer, die nicht zur Staatskirche gehören? Ist die Beseitigung alles dessen nicht unstreitig ein Gut? und verdanken wir nicht dieses Gut der Revolution?

Ich gestehe das Alles zu, aber ich frage: Ist es nicht auch ein Gut, daß der Mensch die Erkenntniß des Guten und Bösen hat, Gott gleich? und dennoch war es die Schlange, die den Menschen im Paradiese dazu verlockte, dieses Gut zu ergreifen! Alle Güter werden zu Uebeln, wenn der Mensch sie außerhalb Gottes Ordnung eigenmächtig sich aneignet. Die Erkenntniß des Guten und Bösen ist ein Gut; aber daß der Mensch Gutes und Böses unterscheiden lernte durch die eigene Sünde, das ist das Uebel. Die politische Freiheit, welche der Revolution als eine lieblich anzusehende Frucht vorschwebte, ist ein Gut; aber daß sie nicht angestrebt wurde innerhalb der Ordnung, die auf Gottes Gebot und Gottes Fügung ruht, sondern durch eine ganz neue Ordnung, die auf den Willen des Menschen sich gründen sollte, das war das Uebel, und dadurch verkehrten sich auch alle Güter, die man suchte, in Uebel. Man wollte rechtliche Schranken der Monarchie, und siehe da, man büßte die Monarchie, diesen Hort der Völker, selbst ein; man wollte das gute Recht der Bürgerlichen gegen den Adel, und man entzündete den Krieg der Armen gegen die Besitzenden; man wollte Gewissensfreiheit und man entchristlichte den Staat. Und auch bei uns, wo diese Mißbräuche längst nicht mehr bestanden, war man lüstern nach der politischen Freiheit im Geiste der Revolution, und sie ist uns geworden, gleichwie das jüdische Volk in der Wüste lüstern war nach Fleisch und Gott ihm Wachteln gab die Fülle, daß es daran Ekel bekam. — —

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite