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Die Konservativen: Friedrich Julius Stahl: „Was ist die Revolution?” (1852)

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Es wird nunmehr klar sein, daß Revolution etwas ganz anderes und tieferes ist als Empörung oder Anarchie. Revolution ist nicht der Barrikadenkampf und der Zeughaussturm und das Geheul der Montagne und die Guillotine und die Noyaden. Alles das sind nur di[e] Symptome der Krankheit, aber nicht ihr Wesen. Die Revolution ist nicht bloße momentane Erhebung des Volkes über eine bestimmte Obrigkeit, momentane Störung der Ordnung: — sie ist die grundsätzliche, permanente Erhebung des Volkes über alle gegebene Obrigkeit, über alle gegebene Ordnung. Und sie ist nicht bloß Störung des Verhältnisses von Volk zur Obrigkeit, sondern sie ist die durchgängige Auflösung und Zersetzung der ganzen Gesellschaft. Wohl steht das alles im engsten Bande. Die Empörung ist meist eine Aeußerung, und zwar eine der frevelhaftesten Aeußerungen der Revolution, und das Mittel, durch das sie sich an die Stelle der alten Ordnung setzt. Aber es giebt auch eine Empörung ohne jene grundsätzliche Ueberhebung des Volkes, wegen Bedrückung oder aus Muthwillen. Sie steht unter ihrem eigenen Gericht, aber sie ist nicht Revolution.

Die Engländer setzten Richard II. ab und krönten Heinrich IV. Sie erhoben sich also über ihren König und Herrn. Sofort aber war wieder Heinrich IV. ihr souverainer König und Herr, und sie seine Unterthanen, und die ganze Gesellschaft blieb unverändert. Das ist Empörung.

Die Franzosen dagegen 1791 beließen den König, aber setzten das Volk für immer zum Souverain und Herrn über den König und nivellirten die ganze Gesellschaft. Das ist Revolution.

Die protestantischen Fürsten Deutschlands, welche Krieg führten gegen ihren Kaiser Karl V., mag man der Empörung beschuldigen, — ich gebe dies zwar nicht zu, — aber jedenfalls kann man sie nicht der Revolution beschuldigen.

Wenn ein Holsteiner sich am Kampfe gegen seinen Landesherrn betheiligte für die bestimmten, gleichviel wahren oder vermeintlichen, Rechte der Herzogthümer, aber ohne alle Betheiligung an jenen zersetzenden Prinzipien und Forderungen, so mag er es in seinem Gewissen ausmachen, ob die außerordentliche Noth der Lage ihn rechtfertigte zur Selbsthülfe gegen seine Obrigkeit; aber nimmermehr ist er ein Revolutionair.

Dagegen, wenn die Anhänger von Thiers und Odilon Barrot uns versichern, sie brauchten nicht erst mit der Revolution zu brechen, sie hätten von Anbeginn mit ihr gebrochen, sie hätten keinen Theil an den Barrikadenkämpfen, an den Zusammenrottungen, an dem Unfug in der Nationalversammlung, sie wären unschuldig an Februar- und März-Revolution, so wollen wir ihnen antworten: Habt Ihr nicht Alles gethan, um den Willen des Königs dem Volkswillen unterthan zu machen? — um die ganze Gesellschaft zu entgliedern? — um jedes Band zur Geschichte und Vergangenheit des Landes abzubrechen? — um den Staat zu entchristianisiren? — wohl habt Ihr mit der Empörung, mit der Anarchie gebrochen, aber mit der Revolution habt Ihr nicht gebrochen! — —

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