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Die Bundesrepublik in Mittel- und Osteuropa (17. Februar 1995)

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Meine Damen und Herren,

nachdem ich die verschiedenen Gefahren geschildert habe, die am Wege zu einer guten tschechisch-deutschen Zukunft lauern, nachdem ich diejenigen beschrieben habe, die – vielleicht, ohne sich dessen bewußt zu sein – einer solchen Zukunft feindlich gegenüberstehen, gestatten Sie mir, ein Bekenntnis meines Optimismus abzulegen.

Ich glaube an das demokratische, liberale und europäische Deutschland. Ich glaube an das Deutschland eines Theodor Heuss, Konrad Adenauer, Kurt Schumacher, Ludwig Erhard, Willy Brandt und Richard von Weizsäcker. Ich glaube an die Millionen deutscher Demokraten. Ich glaube an Deutschlands aufrichtiges Bestreben, den auf der Allgemeingültigkeit der Grundwerte der euro-amerikanischen Zivilisation beruhenden Prozeß der europäischen Vereinigung weiterzuentwickeln und zu vertiefen; ich glaube an Deutschlands Engagement dafür, daß Europa zu einem Kontinent des Friedens, der Freiheit, Zusammenarbeit, Sicherheit und gerechter Verhältnisse unter all seinen Staaten, Völkern und Regionen wird. Demnach glaube ich auch an Deutschlands aufrichtige Bereitschaft, eine rasche Eingliederung Zentraleuropas in das Nordatlantische Bündnis sowie in die Europäische Union zu unterstützen. Ich glaube einfach an Deutschlands Bereitschaft, ein einflußreicher Mitgestalter des sich zusammenschließenden Europas zu sein und dementsprechend seine freundschaftlichen Beziehungen zu Polen, der Tschechischen Republik und anderen neuen Demokratien positiv auf eine neue Grundlage zu stellen, so wie es einst seine Beziehungen zu Frankreich, Luxemburg, Belgien, den Niederlanden und Dänemark neu zu gestalten vermochte.

Mit diesem Glauben stehe ich unter meinen Mitbürgen nicht allein. Die eindeutige Unterstützung, die unser Staat von Anfang an vorbehaltlos und ohne Argwohn der demokratischen Wiedervereinigung Deutschlands entgegengebracht hat, ist Beweis dafür. Bereits als Dissidenten behaupteten einige von uns – und stießen dabei oft auch bei manchen Deutschen auf Unverständnis – daß es ein vereintes Europa ohne ein vereintes Deutschland nicht geben könne und daß der eiserne Vorhang erst fallen würde, nachdem die Berliner Mauer gefallen sei.

Ich glaube auch an die positive Entwicklung der demokratischen Tschechischen Republik; ich glaube, daß sie das traurige Erbe des Kommunismus sowie der früheren historischen Traumata schnell bewältigen und allmählich zu einem vollwertigen und verantwortungsbewußten Mitglied der Familie der europäischen Demokratien werden wird.

Ich glaube, daß schon in diesem Jahr manches getan werden kann, das das Vertrauen zwischen unseren Ländern und Völkern vertieft, das die Hindernisse und Hemmungen abbauen hilft, die unsere Beziehung belasten, das dazu beiträgt, daß all die Schichten von Vorurteilen, Irrglauben, Illusionen und Verdächtigungen, mit welchen wir uns auseinanderzusetzen haben, aus dem Wege geräumt werden. Ich glaube, daß wir es schaffen, auf dem guten Fundament weiter aufzubauen, das wir für unser Zusammenleben nach 1989 gelegt haben, daß wir von den durch unseren zwischenstaatlichen Vertrag gebotenen Möglichkeiten Gebrauch machen und mit neuer Kraft und auf allen Ebenen die begonnene Zusammenarbeit weiter entwickeln werden.

Ich glaube, daß das gemeinsame Engagement für jene Grundwerte der Zivilisation, auf denen das Europa von heute aufbaut, uns diese Arbeit erleichtern wird, und daß wir in uns genügend Mut finden, um all jenen die Stirn zu bieten, deren Politik sich in eine unheilvolle Vergangenheit zurückorientiert und dementsprechend einen dicken Strich durch unsere positive Zukunft ziehen möchte.

Ich glaube an die Macht der Wahrheit und des guten Willens als Hauptquellen unseres gegenseitigen Verständnisses.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.



Quelle der deutschen Übersetzung: Rede des Präsidenten der Tschechischen Republik, Václav Havel, zum tschechisch-deutschen Verhältnis, „Tschechen und Deutsche auf dem Weg zu einer guten Nachbarschaft“, gehalten am 17. Februar 1995 im Karolinum zu Prag, in Berichte zu Staat und Gesellschaft in der Tschechischen und in der Slowakischen Republik, herausgegeben vom Vorstand des Collegium Carolinum, München im Auftrag und mit finanzieller Förderung durch das Auswärtige Amt, Jg. 1995, Heft 1, S. 29-39. http://www.collegium-carolinum.de/doku/vdok/hav-95.htm.

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