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Die Konservativen: Friedrich Julius Stahl: „Was ist die Revolution?” (1852)

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Wir erkennen keine Verfassung als bindend an, die durch Gottes Fügung geworden, die als eine höhere bindende Norm von einer Generation der andern überliefert wird, die jegliche nur an ihrem Theile fortbildet. Sondern wir wollen die ganze Verfassung neu machen, damit sie unser Werk, unsere bewußte absichtliche That sei. Wir errichten von jetzt an erst den Staat, die Gemeinde, die Königliche Gewalt, als wäre vor uns nichts dagewesen, auf daß Alles ohne Zuthun Gottes und der Natur bloß die Schöpfung unserer Vernunft sei. Wir binden uns denn auch nicht an Rechte, die bereits begründet und verbürgt sind; sondern wem wir jetzt gnädig sind, dem sind wir gnädig, wir nehmen den Berechtigten und geben dem Volke.

Endlich, wir lassen die Vertheilung der Staaten nicht gelten, die Gott gefügt. Wir wollen nicht zugeben, daß er die Völker verbinde und zertheile, und ein Volk dem andern unterthan mache nach seinem Rathschlusse und seinen Strafgerichten. Sondern wir wollen alle diese Fügungen aufheben und das Siegel des Rechts, unter das er sie beschlossen, erbrechen, und wollen alle Völker in ihren ursprünglichen Zustand wieder herstellen, daß Alles sei wie von Anbeginn durch unsere Macht und unsere Weisheit.

Dies ist der Kern in allen jenen Forderungen der Revolution. Ihr letzter Schritt ist deshalb nothwendig die Aufhebung des Eigenthums, der Kommunismus. Denn was ist Eigenthum anders, als daß der Mensch den Vorzug im Besitze anerkenne, welchen Gottes Fügung dem Einen vor dem Andern zugetheilt und beschieden hat, durch Geburt und Erbschaft, durch frühere Ergreifung, durch gelungenere Arbeit, durch glücklichere Verwerthung; und was ist die Heiligkeit des Eigenthums anders, als die Scheu und Unterwerfung gegen Gottes Fügung? Wenn nun der Mensch überall die Fügung Gottes nicht als bindend anerkennt, nicht die Obrigkeit und die Verfassung und die Berufsstellung, welche Gott gefügt hat, warum soll er gerade die Vorzüge des Besitzes anerkennen? — und wenn der Mensch Alles neu zu machen unternimmt, den Staat, die Gemeinde, die Austheilung der Völker und Staaten in Europa, — warum nicht auch eine neue Vertheilung der Güter?

Ich wiederhole jetzt meine Begriffsbestimmung der Revolution, und ich glaube sie hat sich als bestätigt erwiesen: Revolution ist die Gründung des ganzen öffentlichen Zustandes auf den Willen des Menschen statt auf Gottes Ordnung und Fügung. Die Revolution ist darum, wie schon das Wort sagt, Umwälzung; sie besteht darin, das zu oberst zu setzen, was nach ewigen Gesetzen zu unterst sein soll und umgekehrt. Sie macht den Menschen zum Ursprung und Mittelpunkt der sittlichen Weltordnung; sie macht die Unterthanen zu Herren ihrer Obrigkeit; sie verkündet die Menschenrechte ohne die Pflichten und den Beruf der Menschen; sie läßt den ganzen Sündenschlamm der Volksleidenschaft, den die obrigkeitliche Macht in der Tiefe niederhalten soll, emporsteigen zur Höhe der Gewalt. — Das ist die Revolution. — —

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