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Ein neues Kapitel in der deutschen Außenpolitik? (21. Dezember 1991)

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Einer der Gründe für die deutsche Zurückhaltung im Golfkrieg lag im Grundgesetz, das angeblich keine Einsätze deutscher Truppen außerhalb des NATO-Gebietes und nicht einmal die Teilnahme an Blauhelm-Einsätzen der UNO zulässt. Zwar wurde von einer Verfassungsänderung geredet, aber keiner hatte es eilig damit, da es ohnehin keine Mehrheit für einen vernünftigen Kompromiss gibt, insbesondere weil die SPD in dieser Frage ziemlich zerstritten ist. Um so mehr muss es erstaunen, dass sich ausgerechnet Kohl und Genscher nicht zuletzt unter dem Druck der SPD für eine friedensstiftende Rolle in Jugoslawien stark machen, ohne die geringsten Machtmittel zur Durchsetzung und Einhaltung eines Friedens zu besitzen oder sich Gedanken darüber zu machen, welche Taten denn den Worten folgen könnten. Denn wenn es um den Einsatz militärischer Macht ginge, müssten wir uns wieder auf das Grundgesetz berufen und im Falle Jugoslawiens, diesmal zu Recht, auch auf die Bürde der Geschichte. Wer deutsche Soldaten nach Jugoslawien schicken wollte, müsste wahnsinnig sein.

Was anderes ist das Vorpreschen Bonns dann als eine leere Aktion, als ein außenpolitischer Reflex auf einen innenpolitischen Druck, als ein Fall von Großspurigkeit? Nach der Vereinigung Deutschlands die Vereinigung Europas und nun die Friedensvermittlung im zerfallenden Osten. Schön wäre es; niemand brauchte davor auch Angst zu haben. Aber die Verhältnisse sind nicht so, vielmehr muss man sich sorgen, dass aus dem einseitigen Vorgehen Bonns Schaden entsteht. Schaden zunächst für die Gemeinschaft, denn der Kabinettsbeschluss zur Anerkennung Kroatiens und Sloweniens ist eine offene Missachtung der EG-Formel, aus der man nur mit einiger Spitzfindigkeit einen Automatismus herauslesen kann. Sonst hätten die Außenminister weder eine Schiedskommission eingesetzt noch den 15. Januar als Termin für eine gemeinsame Anerkennung genannt. Vor allem aber Schaden für Kroatien, denn die Serben müssen sich nun geradezu eingeladen fühlen, bis zum 15. Januar soviel kroatisches Gelände wie nur möglich zu erobern. Und niemand wird sie daran hindern können. Wir haben die Serben provoziert und aufgestachelt, und wir werden die Kroaten enttäuschen. Nicht nur schicken wir ihnen keine Soldaten, wir werden ihnen auch nicht die erhofften Waffen liefern.

Schädliche gute Absicht

Gegenüber dem Verweis des UNO-Generalsekretärs, dass Bonn die Lage verschärfe, hat sich Genscher mit der Behauptung verteidigt, sie verschlechtere sich ohnehin jeden Tag. Das ist ebenso richtig wie die Erkenntnis, dass Europa einen grausamen Krieg vor seiner Haustür nicht hinnehmen könne. Aber es ist nicht genug, denn vor allem kommt es auf das Wie des Eingreifens an. Und da kommen wir nicht an der Einsicht vorbei, dass uns Amerikaner, Briten und Franzosen aus verschiedenen Gründen nicht zu folgen bereit sind. Insbesondere für Genscher muss das enttäuschend sein, für den hier das Wort gilt, dass nichts schädlicher ist als eine gute Absicht. Als einer der Gralshüter des KSZE-Prozesses hatte er gehofft, dass dessen Prinzipien hilfreich beim Wandel im Osten sein könnten, dass sie sowohl den Zerfall der Sowjetunion bremsen als auch bei der Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes helfen könnten. Die KSZE ist jedoch so tot wie die alte Weltordnung, aus der sie entstanden ist. Deutsche Außenpolitik ist schwieriger geworden.



Quelle: Dieter Schröder, „Der deutsche Alleingang“, Süddeutsche Zeitung, 21. Dezember 1991.

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