GHDI logo

Die Konservativen: Friedrich Julius Stahl: „Was ist die Revolution?” (1852)

Seite 2 von 11    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Wenn denn nun Revolution nicht dasselbe ist mit Empörung, und nicht dasselbe mit politischer Freiheit, was ist denn die Revolution?

Revolution bedeutet die bestimmte politische Lehre, welche seit 1789 als eine weltbewegende Macht die Denkart der Völker erfüllt und die Einrichtungen des öffentlichen Lebens bestimmt. Fragt man aber nach ihrem Begriff und Wesen, so ist es dies: Revolution ist die Gründung des ganzen öffentlichen Zustandes auf den Willen des Menschen statt auf Gottes Ordnung und Fügung: daß alle Obrigkeit und Gewalt nicht von Gott sei, sondern von den Menschen, vom Volke; und daß der ganze gesellschaftliche Zustand zu seinem Ziele nicht die Handhabung der heiligen Gebote Gottes und die Erfüllung seines Weltplanes habe, sondern allein die Befriedigung und das willkürliche Gebahren der Menschen.

Dies ist das innerste Centrum, aus welchem sich das ganze System der Revolution heraus entfaltet. Es ist der Schlüssel zum Verständniß aller ihrer Forderungen. Gestatten Sie mir zuerst diese Forderungen aufzuführen und dann sie zu kommentiren:

Die Revolution fordert die Volkssouverainetät, sei es die demokratische Republik, sei es die Monarchie, in welcher der König Knecht des Parlaments, das Parlament Knecht der öffentlichen Meinung oder der Volksmasse ist.

Die Revolution fordert die Freiheit, das Gewährenlassen in allen Gebieten, unbegränzte Theilbarkeit und Veräußerlichkeit des Grundeigenthums, unbeschränkte Ansässigmachung und Gewerbefreiheit, unbegränzte Freiheit der öffentlichen Lehre, der Sektenstiftung, der Ehescheidung. Sie fordert Abschaffung der Todesstrafe, Straflosigkeit der Gotteslästerung, ehrenvolles Begräbniß des Selbstmörders.

Die Revolution fordert die Gleichheit: Aufhebung aller Stände und Klassen und Korporationen, aller gegebenen Obrigkeiten, Nivellirung der Gesellschaft.

Die Revolution fordert die Trennung von Staat und Kirche: gleiches Recht aller Religionsbekenner auf die obrigkeitlichen Aemter, Gleichstellung aller Kulte, Behandlung der christlichen Kirche als bloßer Privatgesellschaft ohne Interesse und Bedeutung für Nation und Staat, Einführung der natürlichen Religion statt des Christenthums in der Volksschule und dem öffentlichen Unterrichte.

Die Revolution fordert die Charte, d. h. die Vernichtung der ganzen naturwüchsigen, geschichtlichen Verfassung des Landes, wie sie durch Jahrhunderte sich gebildet durch Herkommen und einzelne Gesetze, um eine neue zu machen in Einem Akte, in Einer Urkunde, so daß kein Recht mehr gilt, als das in dieser Urkunde steht, und weil es in ihr steht.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite