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Gedanken zur Forderung nach einer deutschen Leitkultur (4. November 2000)

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Die ganz normale Ausgrenzung

Fereshta Ludin kann sich zweifellos unter „deutscher Leitkultur“ etwas vorstellen. Das können auch die muslimischen Vereine, die ihre Religion nicht länger in einem verhutzelten Treff im Hinterhof ausüben wollten und daher die Erlaubnis zum Bau einer Moschee beantragten. Die Behörden und Anwohner der meisten Gemeinden können die Vorstellung nicht ertragen, beim Blick aus dem Fenster ein Minarett zu sehen. Dagegen wird das Glockengeläut von den nahen christlichen Kirchen trotz anhaltendem Mitglieder- und Bedeutungsschwund weiterhin als normal empfunden. Ähnliches gibt es beim Religionsunterricht. Seit vierzig Jahren leben hier islamische Gläubige. Doch während die beiden ansässigen christlichen Konfessionen selbstverständlich in den Schulen gelehrt werden, erscheint vielen die Forderung nach entsprechendem Unterricht für Muslime immer noch wie eine Usurpation der deutschen Schule durch fanatische Koranprediger.

Freilich geht es nicht nur um den Islam: Was ist eigentlich mit orthodoxem Unterricht für Schüler griechischer oder serbischer Herkunft? Im Gegensatz zu Frankreich – das ist vielen Einheimischen nicht bewusst – gibt es in Deutschland keinen Laizismus: Staat und Religion sind nicht strikt voneinander getrennt. Hierzulande werden die beiden christlichen Konfessionen bevorzugt, und bislang hat es kaum Versuche gegeben, entweder den Laizismus einzuführen und damit die Konfession zur Privatsache zu machen oder die religiösen Bekenntnisse der Einwanderer gleichzustellen.

„Leitkultur“ – tatsächlich bloß eine Floskel? Die Dominanz einer unsichtbaren „Leitkultur“ umfasst keineswegs nur den Bereich der Religion. Serhat Z. etwa bekommt einfach keinen Ausbildungsplatz. Mittlerweile weiß er ziemlich genau, dass das mit seiner Herkunft zu tun hat. Nach zahlreichen Fehlschlägen hat er die Probe aufs Exempel gemacht: Er hat bei verschiedenen mittelständischen Betrieben wegen einer Lehrstelle angerufen und dabei manchmal seinen eigenen und andere Male einen erfundenen einheimischen Namen genannt. Wenn sein eigener, „ausländischer“ Name fiel, war das Gespräch meist schnell vorüber. Jugendliche mit Migrationshintergrund haben es schwerer, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das hat nichts mit dem Bildungsniveau zu tun. Untersuchungen zeigen, dass die Entscheidungsträger in den hierzulande zahlreichen kleinen Betrieben den kulturellen Hintergrund der jugendlichen Migranten für ein Problem halten. Vor allem den jungen Männern türkischer Herkunft wird unterstellt, sie würden die Betriebskultur stören – etwa wegen ihrer angeblich leichten Reizbarkeit in Angelegenheiten der Ehre.

Bei den Mädchen wiederum wird davon ausgegangen, dass sie aus religiösen Gründen bestimmte Tätigkeiten verweigern müssten. Jede sichtbare Verschiedenheit gilt hier bereits als Defizit. Den Migrantenjugendlichen, die es dennoch in einen Kleinbetrieb geschafft haben, wird schließlich permanent bescheinigt, sie seien ja „wie Deutsche“. In den meisten Betrieben heißt Integration daher nichts anderes als Aufgehen in der „Leitkultur“. Die Zuschreibungen der Entscheidungsträger in den Betrieben sind nicht ungewöhnlich. Migranten gelten oft als Verkörperung vormoderner Traditionen – und damit im besten Fall als nur verknöchert, im Normalfall als undemokratisch und frauenfeindlich, im schlimmsten Fall als fanatisch und potenziell gewaltbereit.

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