GHDI logo

Bundespräsident Johannes Rau ruft zu mehr Toleranz gegenüber Einwanderern auf (12. Mai 2000)

Seite 7 von 15    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Ich sehe hier eine besondere Aufgabe und eine besondere Verantwortung der Medien. Aufklärung und Information tun Not.

Ein Beispiel: Menschen ärgern sich über Asylbewerber, die in den Innenstädten sitzen und den Eindruck vermitteln, sie ließen sich für Nichtstun vom Steuerzahler aushalten. Viel zu wenige Menschen wissen, dass es Asylbewerbern in den ersten drei Monaten gesetzlich verboten ist zu arbeiten, und dass sie danach von den Arbeitsämtern als Arbeitssuchende abgelehnt werden. Wer das weiß, mag am Sinn dieser Vorschrift zweifeln. Aber er wird den Asylbewerbern nicht mehr mangelnden Arbeitswillen unterstellen.

Ich engagiere mich von ganzem Herzen für einen Dialog der Kulturen und Religionen weltweit. Das ist eine wichtige Aufgabe. Ich habe sie allerdings nie als Ersatz dafür verstanden, dass wir uns ganz handfest um die praktischen Probleme des Alltags kümmern, die sich aus dem Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen im eigenen Land ergeben.

Wir müssen über das Zusammenleben da reden, wo das Leben konkret ist.


VI.

Es gibt in unserer Gesellschaft Ausländerfeindlichkeit, ja Fremdenhass. Es gibt Gewalt bis hin zu Mord. Gefährlicher noch als einzelne Gewaltakte ist ein gesellschaftliches Klima, das Ausländerfeindlichkeit mit klammheimlicher oder sogar mit offener Sympathie begleitet.

Es gibt eine aggressive Intoleranz gegenüber Ausländern. Sie wird gefördert, wenn eine Mehrheit schweigt. Wer schweigt, macht sich mitschuldig.

Da sind wir alle gefordert. Politiker, Polizei und Justiz, Lehrerinnen und Lehrer tragen besondere Verantwortung, sich menschenfeindlichen Tendenzen entgegen zu stellen. Das braucht Zivilcourage und Unterstützung.

Kein politisch Verantwortlicher darf der Versuchung nachgeben, aus fremdenfeindlichen Stimmungen Kapital zu schlagen. Der sorgfältige Umgang mit dem Wort gehört dabei an die erste Stelle. Ich erwarte von allen Selbstdisziplin und Fingerspitzengefühl.

Wer sich über die Untaten aus Fremdenfeindlichkeit empört, der darf die Unworte nicht überhören oder gar selber gebrauchen, die viel zu häufig die Runde machen. Unworte bereiten Untaten den Boden.

Wir dürfen freilich niemanden mit seinen Vorurteilen und Ressentiments alleine lassen. Wie oft sind Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass das Ergebnis von Unkenntnis und mangelnder Erfahrung! Nur so ist zu erklären, dass es Gegenden in Deutschland gibt, in denen nur ganz wenige Ausländer leben, Fremdenfeindlichkeit aber stark verbreitet ist.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite