GHDI logo

Bundespräsident Johannes Rau ruft zu mehr Toleranz gegenüber Einwanderern auf (12. Mai 2000)

Seite 4 von 15    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Vieles ist heute auch schwieriger, weil die Zuwanderer mittels Telefon und Satellitenfernsehen eng mit ihrer Heimat verbunden bleiben.

Dennoch kann der Blick zurück zeigen, dass uns Integration in der Vergangenheit gelungen ist und auch wieder gelingen kann.

Wir in Deutschland haben in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und danach Hunderttausende aufgenommen, die auf der Suche nach Arbeit und Brot waren. Sie kamen aus den östlichen Provinzen des Reiches, aus Österreich-Ungarn, aus Russland und unter ihnen waren besonders viele Polen.

Sie kamen in das damalige Industriezentrum Berlin und in den „goldenen Westen“, zu den Gruben und Hütten des Ruhrgebietes. Da wurden in der Lebensspanne einer Generation Dörfer und kleine Städte zu Großstädten.

Die erste Generation der Einwanderer lebte noch ganz in den mitgebrachten Traditionen, etwa der polnisch-katholischen Frömmigkeit. Schon die zweite Generation, die in dieselben Zechen einfuhr und in denselben Fußballvereinen spielte, fing an, die polnischen Namen westfälisch auszusprechen. So wie sie von ihrer neuen Umwelt geprägt wurden, so haben auch sie ihr neues Zuhause mitgeprägt.

Wie viele von uns, nicht nur hier in Berlin oder im Ruhrgebiet, sind Nachkommen von Zuwanderern! Von Vätern und Müttern, die in der Fremde ein besseres Leben gesucht haben! Welche Aufnahme, welches Willkommen hätten wir unseren Großvätern und Urgroßvätern gewünscht?

Und wie wurden unsere Landsleute aufgenommen, die in die Fremde gegangen sind?

Deutschland war in seiner Geschichte nicht nur ein Einwanderungsland. Armut und Not, aber auch Abenteuerlust und Unternehmungsgeist haben in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts viele unserer Vorfahren nach Kanada und Amerika geführt – Jahr für Jahr die Einwohnerzahl einer Großstadt.

Auch Deutsche waren einmal Wirtschaftsflüchtlinge.

Auch Deutsche sind vor politischer Verfolgung geflohen.

Auch Deutsche haben zum Aufbau anderer Länder beigetragen.

Als Folge des Zweiten Weltkriegs haben wir in Deutschland Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aufgenommen. Auch diese letztlich erfolgreiche Integration war am Anfang alles andere als leicht, obwohl Deutsche nach Deutschland kamen.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite