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Bundespräsident Johannes Rau ruft zu mehr Toleranz gegenüber Einwanderern auf (12. Mai 2000)

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Die ganz überwiegende Mehrheit der ausländischen Bevölkerung kommt ihren Pflichten nach und trägt dazu bei, dass wir Wohlstand erwirtschaften und soziale Sicherheit finanzieren können.

Sie zahlen Einkommenssteuer und Mehrwertsteuer, wie wir alle.

Sie zahlen Beiträge zur Rentenversicherung und sie finanzieren die Bundesanstalt für Arbeit genauso mit wie die gesetzliche Krankenversicherung.

Wir brauchen keine künstlichen Debatten darüber, ob Deutschland ein Zuwanderungs- oder ein Einwanderungsland ist.

Wir dürfen in der Diskussion nicht immer nur Teilaspekte herausgreifen: heute islamischer Religionsunterricht, morgen Green-Card, dann wieder Arbeitserlaubnisse für Saisonarbeiter oder die Behandlung von Bürgerkriegsflüchtlingen.

Wir müssen den Blick für das Ganze gewinnen.

Wir müssen Realitätsblindheit und Illusionen überwinden, notwendige Entscheidungen anpacken und neue Wege gehen.

Wir brauchen eine neue Anstrengung für das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland – ohne Angst und ohne Träumereien.

Am Beginn aller Diskussionen muss klar sein: „Die“ Ausländer gibt es nicht. Es geht immer um einzelne Menschen:

Um Menschen mit ihren individuellen Wurzeln

• ob als Arbeitssuchende aus Anatolien,
• ob als Spätaussiedler aus einem kleinen Dorf im Herzen von Kasachstan,
• ob auf der Flucht vor Verfolgung und Folter im Sudan,
• ob als Vertriebene aus den zerstörten Städten und Dörfern des Kosovo.

Jeder hat seine Biographie, jeder hat seine Träume, alle haben ihre kulturellen und religiösen Prägungen, jeder hat seine besondere Art des Umgangs mit anderen.

So unterschiedlich sie sind, eines haben sie alle gemeinsam: Jeder von ihnen sucht in Deutschland Zuflucht oder Heimat – freiwillig oder notgedrungen, manche für eine Zeit des Übergangs, viele aber auf Dauer.


III.

Das Verlassen der Heimat und das Einleben in eine andere Kultur: Das sind in der Geschichte keine neuen Phänomene – auch nicht in der Geschichte unseres Landes. Darum wissen wir, dass Einwanderung und Integration nicht konfliktfrei sind und nicht automatisch gelingen.

Die Zuwanderung vergangener Jahrhunderte nach Deutschland lässt sich freilich mit der heutigen Situation nicht ohne weiteres vergleichen. Vieles dauert länger, manches ist schwieriger, wenn es um das Zusammenleben von Menschen mit sehr unterschiedlichem kulturellen und religiösen Hintergrund geht.

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