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Kosmopolitismus und Patriotismus vermischen sich während der Fußballweltmeisterschaft (19. Juni 2006)

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Also gibt es keinen neuen Patriotismus? Nur etwas Euphorie? Oder nicht mal die? Immerhin gibt es eine Steigerung. Vor vier Jahren fuhr kaum jemand mit einer Flagge an seinem Auto über Straßen. „Gut”, sagt [Andrei] Markovits*, der selbst in Rumänien geboren wurde, in Wien aufwuchs, in New York studierte und Amerikaner ist, nach seinem Vortrag bei einer Cola, „eine WM im eigenen Land erhöht den Affekt von Nation noch. Die Nation, Deutschland also, ist in diesen Wochen besonders akut.”

Andrei Markovits sagt, er habe Angst vor jeder Art von Nationalismus. Es habe selten etwas Gutes gebracht. Für den Verein zu brüllen sei in Ordnung. „Es ist nicht so atavistisch”, sagt Markovits. Aber mit einem neuen, nationalistischen Deutschland rechnet er nicht. Nach dem 9. Juli werde der Affekt weg sein. „Ich glaube nicht an eine Nachhaltigkeit.”

Es gibt aber auch die Deutung, dass sich nicht viel verändern wird durch die WM, weil sich schon viel verändert hat. Das große deutsche Feiern sei nur ein Ausdruck dieser Veränderung.

Angeblich gibt es einen neuen Patriotismus des Herzens, eine Liebe zum Land, die sich im Fahnenschwenken in und „Deutschland, Deutschland”-Rufen zeige. Vor allem die kleineren Leute hätten gespürt, dass sie von der Globalisierung nur Härten zu erwarten hätten. Deshalb wendeten sie sich wieder der Nation zu. So liege dem Jubel für die deutschen Erfolge ein Gefühl der Rührung zugrunde.

Das mag es geben. Wer aber im Lande rumreist, wer in den Stadien ist und wer sich vor den Großleinwänden rumtreibt, hat eher den Eindruck, dass die große Masse einfach nur feiern will. Die Fahne oder das Trikot ist weniger Ausdruck von Patriotismus als von Partywillen. Wer dabei sein will, muss Farben zeigen.

Die Nationalfarben sind nach dieser Deutung zwar Zeichen von Zugehörigkeit, aber nicht so sehr zu einer Nation, sondern mehr zu einem internationalen Partykongress, der derzeit in Deutschland tagt. In der guten Laune steckt auch ein Schuss Patriotismus, aber der ist nur für ein Partyereignis abrufbar, nämlich für die Spiele der deutschen Mannschaft. Wenn demnächst deutsche Soldaten in den Kongo aufbrechen, werden nicht Zehntausende die schwarzrotgoldenen Fahnen schwenken, die sie für die WM angeschafft haben.

Aber auch diese Leichtigkeit ist nur möglich, weil sich etwas verändert hat. Das ist bei Edgar Wolfrum zu erfahren, Professor für Geschichte in Heidelberg. Er ist 46, also recht jung für diesen Job. Er trägt langes Haar und ein Streifenhemd. Im März ist von ihm das Buch „Die geglückte Demokratie” erschienen, eine Geschichte der Bundesrepublik.

Schon der Titel zeigt, dass Wolfrum gewillt ist, einen positiven Blick auf dieses Land zu werfen. Ein jubelnder Patriot ist er deshalb nicht. „Ich hasse Fahnen jeglicher Art”, sagt Wolfrum. Zum Deutschlandlied sagt er: „Die Strophe, die wir haben, finde ich eigentlich schön, aber mitsingen? Ich weiß nicht.”

Aber er traut sich, ein Wort zu sagen, das im Zusammenhang mit Deutschland eigentlich verfemt ist. Es ist das Wort „stolz”. “Wir können stolz sein auf das Erreichte”, sagt Edgar Wolfrum.

Es ist der Sprung vom Dritten Reich zu einer Demokratie, in der die Institutionen stabil funktionieren und die sich in ihrer Außenpolitik um Ausgleich und Entgegenkommen bemüht. „Es gibt kaum ein Volk auf der Welt, das sich in 60 Jahren so gewandelt hat wie Deutschland”, sagt Wolfrum.



* Andrei Markovits ist Professor für Politikwissenschaften und Germanistik an der „University of Michigan” und war damals „Gastprofessor für Fußballstudien an der Uni Dortmund.“

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