GHDI logo

Die Attraktivität der Metropole Berlin (6. Juli 2006)

Seite 2 von 7    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Eine kleine Wanderung die Schönhauser Allee hinab ruft asiatische Städtebilder auf, mit ihrem Kleinstgewerbe als Überlebenskunst, ihren Rucksacktouristen auf der Suche nach hübschen Mädchen und billigem Bier. Bangkok-Bilder. Ein winziges Internet- und Telefon-Café. Eine »China-Perle«. Tattoostudios. Massagen. Szenekleidung für den Hippie, den Hooligan. Ein Waffenladen, ein Reste-Shop, ein Backpacker-Hostel. Weitere Mini-Cafés plus Computer, plus dies und das. Die Geschäftstätigkeit spielt sich auf dem Stuhl vor der Tür in der Sonne ab, mit Zigarette und dem unvermeidlichen Latte Macchiato.

So ungefähr hatten sich Ettina und Sonja das auch vorgestellt, als sie ihre Ausbildung zur Modedesignerin abschlossen hatten. Ein Label namens Klonk, ein Laden am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg für 300 Euro, eine kleine, ausgefallene Kollektion. Sachen, die man selber trägt. Kunden, mit denen man stundenlang plaudert. Ein nettes, entspanntes Berliner Leben unter ihresgleichen.

Das lief auch so, bis eines Tages dieser Japaner eintrat, der eigentlich Franzose ist. Dieser Yann kam herein, weil ihm die Dekoration gefiel. Laub unter der Decke, Papierradios hingen herab, Papierfernseher. Die Kleider gefielen ihm auch. Er arbeite, erklärte er den beiden jungen Frauen, für eine japanische Firma mit 70 Modeläden in Japan und weiteren in New York und anderswo und bot ihnen an, nach Tokyo zu kommen, um dort einen neuen Laden zu gestalten. So einen wie hier. Wie in Berlin.

Es gibt ihn jetzt, die beiden haben ihn in Tokyo eingerichtet. »Wut Berlin« heißt er. Und aus Ettina und Sonja sind Frau Schultze und Frau Lotz geworden. Geschäftsfrauen, 26 und 31 Jahre alt, mit einem neuen Laden in Mitte. Es ist erst ein Anfang. Man wird sehen. Aber es ist der Sprung vom low budget am Prenzlauer Berg zum high speed einer kleinen globalen Berliner Modefirma.

»Wir sind professioneller geworden«, sagen sie, »härter.« Erstaunlich, wie selbstverständlich die zwei weltweit agieren. Der ständige aufgeregte Vergleich mit New York, den das Berlin der achtziger Jahre pflegte, käme ihnen nur noch komisch vor. Viele ihrer Freunde leben in New York oder kommen von dort und leben jetzt hier. Oder eben aus Tokyo oder sonstwo. »Wenn du in New York sagst, du bist aus Berlin, erntest du ein aufgeregtes, begeistertes ›Wow!‹.« So sind die Verhältnisse heute.

Noch etwas ist erstaunlich – die illusionslose Klarheit, mit der die beiden sich selbst sehen. »Wir verkaufen den Berlin-Hype in die Welt.«

Ettina Schultze hat ein eigenartiges Phänomen beobachtet. »Sein Ruf eilt Berlin voraus. Er schafft erst die Realität, die normalerweise einen Ruf nach sich zieht. Er bringt Leute überall in der Welt dazu, in der Stadt etwas zu sehen, was erst dadurch wahr wird, dass sie diesem Ruf folgen.«

In einem Café am schattigen Ludwigkirchplatz im Westen der Stadt sitzt früh um neun, wenn die Berliner Luft noch frisch ist, ein nachdenklicher Investmentmakler mit Sitz in Wien und Berlin. Er kommt gerade aus London. »Die Ersten«, sagt Peter Forstner, »die im großen Stil in Berlin Immobilien kauften, waren Amerikaner und Briten. Inzwischen kauft fast ganz Europa, besonders aktiv sind Dänen, Iren und Österreicher, aber auch Russen und Israelis. Meist Fondsgesellschaften.«

So stark sei die Nachfrage, dass Berlin derzeit einen regelrechten Verkäufermarkt habe. »Wer verkauft, kann wählerisch sein: lieber an Briten oder lieber an Wiener?«

Mentale Eigenheiten hat Forstner auch bei den Investoren festgestellt. »Angelsachsen kaufen nicht gern in Kreuzberg, wegen des hohen Ausländeranteils. Sie bevorzugen Prenzlauer Berg und Mitte. Österreichern ist das egal.«

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite