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Ein jüdischer Neuankömmling in Berlin (2000)

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Aus diesen Juden und aus den Russlanddeutschen bestand die fünfte Welle, obwohl die Russlanddeutschen eine Geschichte für sich sind. Alle anderen Gruppierungen – die russischen Ehefrauen oder Ehemänner, die russischen Wissenschaftler, die russischen Prostituierten sowie die Stipendiaten bilden zusammen nicht einmal ein Prozent meiner hier lebenden Landsleute.

Wie viele Russen gibt es in Deutschland? Der Chef der größten russischen Zeitung in Berlin sagt, drei Millionen. Und 140 000 allein in Berlin. Er ist aber nie richtig nüchtern, deswegen schenke ich ihm keinen Glauben. Er hat auch schon vor drei Jahren drei Millionen gesagt. Oder waren es damals vier? Aber es stimmt schon, die Russen sind überall. Da muss ich dem alten Redakteur Recht geben, es gibt eine Menge von uns, besonders in Berlin. Ich sehe Russen jeden Tag auf der Straße, in der U-Bahn, in der Kneipe, überall. Eine der Kassiererinnen im Supermarkt, in dem ich einkaufen gehe, ist eine Russin. Im Friseursalon ist auch eine. Ebenso die Verkäuferin im Blumenladen. Der Rechtsanwalt Grossman, auch wenn man es bei dem kaum glauben mag, ist ursprünglich aus der Sowjetunion gekommen, so wie ich vor zehn Jahren.

Gestern in der Straßenbahn unterhielten sich zwei Jungs ganz laut auf Russisch, sie dachten, keiner versteht sie. „Mit einem 200 mm-Lauf kriege ich das nicht hin. Er ist doch ständig von vielen Menschen umgeben.“ „Dann solltest du einen 500er nehmen.“ „Aber ich habe doch nie mit einem 500er gearbeitet!“ „Gut, ich rufe morgen den Chef an und bestelle eine Gebrauchsanweisung für den 500er. Ich weiß aber nicht, wie er reagieren wird. Besser ist es, du versuchst es mit dem 200er. Man kann es doch noch einmal probieren!“ Man kann.



Quelle: Wladimir Kaminer, Russendisko (orig. 2000). München: Goldmann, 2003, S. 9-18. © Wladimir Kaminer

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