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Deutsche Urlaubsgewohnheiten (1. April 2004)

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Früher Castro, heute Westerwelle

Im Schnitt verbringen 70 von 100 Deutschen ihren Haupturlaub im Ausland. Dass es im zurückliegenden Jahr etwas weniger waren (62 Prozent), lag vornehmlich daran, dass vielen das Geld fehlte. Geldnot geben als Grund vor allem die Ostdeutschen dafür an, zu Hause zu bleiben. Deren Reiselust ist etwa so schnell gesunken, wie die Arbeitslosenzahlen gestiegen sind. Dabei waren sie vor 1989 nicht minder mobil als die Westdeutschen, wie Heike Bähre in ihrer wissenschaftlichen Arbeit Tourismuspolitik in der Systemtransformation schreibt.

Ostdeutsche waren offen für die Welt, nur war die Welt nicht offen für sie. Neben Bulgarien, Rumänien und der damaligen Tschechoslowakei konnten sie sich nur im eigenen Land erholen. Dafür jedoch wurde vom Staat alles getan. Reisen sollte für jeden möglich sein. Dass jeder Betrieb ein eigenes Ferienheim zu unterhalten hatte, war ökonomisch ebenso töricht wie die Tatsache, dass Einheimische in den Kaufhallen „an der Schlange der Urlauber vorbei zur Kasse marschierten und bevorzugt bedient wurden“. Die staatlich geförderte Mangelwirtschaft führte zu obskuren Konflikten. Eine Ostberliner Verkäuferin von Unterhosen und Kindersocken beklagte sich zum Beispiel in einem Brief über den „touristischen Abverkauf bestimmter Sortimente durch ausländische, vor allem polnische Bürger“.

Klaus Wenzel hat die Wende ebenso gut überstanden wie sein Hotel Neptun in Warnemünde an der Ostsee. Als riesiger Betonklotz ragt es in den Himmel, alle Zimmer haben Meeresblick. „Vor der Wende war es hier international, Ägypter kamen, Amerikaner, Australier und Neuseeländer, unsere Angestellten waren dreisprachig geschult“, sagt der Hoteldirektor. In der DDR war das Neptun Vertragshotel der Gewerkschaft, Wenzel empfing Gäste wie Fidel Castro. Heute kommen fast ausschließlich deutsche Gäste – wie zum Beispiel Guido Westerwelle.

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Mit der gleichen Ideologie, mit der die westliche Tourismusindustrie in den sechziger und siebziger Jahren die Entwicklungsländer in Südostasien und Nordafrika zum touristischen Ausverkauf bekehrte („Wir bringen Geld und Arbeit“), zog sie nach dem Fall der Mauer auch in die neuen Bundesländer. Das Hotel Neptun zum Beispiel wechselte als „Steuersparmodell“ bis heute fünfmal den Besitzer. Gleichwohl hat sich die Ostsee, vor allem die Küste in Mecklenburg-Vorpommern, zum beliebtesten inländischen Urlaubsziel der Deutschen entwickelt. Und damit Bayern auf Platz zwei verdrängt.

Nach dem heißen Sommer 2003 mäkelt kaum noch jemand über das schlechte Wetter. Allerdings ist der Deutsche im eigenen Land ein noch schwierigerer Gast als anderswo. Während er unter der Sonne des Südens schon mal eher aus sich herausgeht, ein wenig lockerer und freizügiger wird, bleibt er hierzulande Realist. Er neigt nicht zur Zügellosigkeit und ist, wie es Klaus Wenzel sagt, stets mit der Preis-Leistungs-Schere im Kopf unterwegs. „Da unterscheidet sich der Leipziger nicht vom Hamburger.“ An den Osten des Landes habe der deutsche Urlauber den Anspruch, dass alles billiger sein solle, zu seiner Zufriedenheit müssten Angestellte freundlicher und kompetenter sein als im Westen.

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