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Johanna Trosiener, Tochter eines Kaufmanns aus Danzig und spätere Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer und der Schriftstellerin Luise Adelaide Lavinia Schopenhauer, sinniert über ihre Kindheit und Jugend in den 1770er Jahren (Rückblick)

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Der Theetisch wurde servirt, wie es eine solche Gesellschaft erfordert. Mamsell Ackermann präsidirte dabei auf dem Sopha und ließ unter ihrer Leitung die Aeltesten von uns wechselsweise die Rolle der Wirthin übernehmen; die Uebrigen ordneten sich um den Tisch, oder standen und gingen im Zimmer umher, lachten und plauderten nach Belieben, Alles was sich ziemte war erlaubt, als wäre es wirklich eine zur geselligen Unterhaltung geladene Damengesellschaft, nur Deutsch reden war und blieb hoch verpönt.

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[Was dem »in Arbeit und Ehrenstellen ergraueten Geschäftsmann und Gelehrten« seine] akademische Zeit war, ist mir, obgleich es fast lächerlich klingt, jene Societé des jeunes dames gewesen. Freilich fehlten mir damals wenigstens noch zehn Jahre an dem Alter, in welchem Eltern ihre Söhne die Universität beziehen lassen, aber mein Geschlecht läuft immer dem männlichen um zehn Jahre voraus [ . . . ]

Jene Societé wird und muß in der Erinnerung mir immer werth bleiben, weil sie einen neuen, reichhaltigen Freudequell mir eröffnete; durch sie gerieth ich sowohl aus dem eng beschränkten Kreis des Familienlebens, als aus meiner zu weit ausgedehnten Ideenwelt, in den fröhlichsten geselligen Verkehr mit Mädchen meines Alters, und kam doch immer wieder aus unserm frischen jugendlichen Treiben zu allem, was von frühester Kindheit an mir lieb gewesen, mit unverkümmertem Genuß zurück ...

[Die Kaufmannstochter will Malerin werden.]

[Im Alter von 10 Jahren entstand bei Johanna der Wunsch, Malerin zu werden.]

Da erwachte [ . . . ] ein tröstender Gedanke in meiner Seele, ich bedachte, daß kein Meister vom Himmel fällt, und folglich selbst Angelika [Kaufmann] ohne allen Unterricht keiner geworden wäre. Lernen will ich; was Andere können, kann mir nicht unmöglich bleiben, und eine Malerin, eine zweite Angelika will ich werden; dieser Entschluß stand mit jedem Tage fester in meinem Gemüth; auch den Weg, die Ausführung desselben möglich zu machen, glaubte ich nach vielem Nachsinnen darüber endlich gefunden zu haben.

Die Zeit nahete heran, in welcher mein Vater verabredeter Maßen mit seinen russischen Handelsfreunden in Leipzig zusammentreffen wollte, als ich mir endlich ein Herz faßte, und zu einer mir sehr gelegen scheinenden Stunde meinen Eltern meinen Wunsch entdeckte. Inniger, herzlicher als ich je etwas erbeten, zitternd, glühend, kaum fähig, meine Worte verständlich herauszubringen, beschwor ich meinen Vater, mich mit sich zu nehmen, mich von Leipzig nach Berlin zu bringen, und mich dort bei Chodowiecki, dem größten Maler, der meiner Meinung nach in der Welt, oder doch wenigstens in Deutschland existirte, förmlich in die Lehre zu geben [ . . . ]

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