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Kindheit in Rostock an der Ostsee, aus Sicht der Aufklärung und der rationalistischen Medizinwissenschaften (1807)

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Aber noch mehr als alles dieses verdient ein Gegenstand die angestrengteste Aufmerksamkeit der Aeltern, und besonders der Mütter auf ihre Ammen und Wärterinnen selbst, die man oft nicht allein mit wollüstigen Empfindungen die Kinder, welche sie warten, küssen und umarmen sieht, sondern von denen ich es selbst zum Theil mehr als zu deutlich gemerkt habe, daß sie aus Wollust ihre Hände häufig unter den Kleidern der Kinder haben, und da Gefühle zu erregen suchen, die noch lange hätten schlummern sollen. Auf solche Art legen dergleichen moralische Ungeheuer den Grund zu so vielen moralischen und physischen Leiden, indem jener behagliche Reiz, den die Kinder einmal empfunden haben, sie selbst zur Wiederholung desselben ermuntert. Ich halte mich wenigstens davon für überzeugt, daß der erste Grund eines leider eben so zerstörenden als bekannten Lasters in den wollüstigen, unmoralischen Ammen zu suchen ist, ohne daß man häufig eine solche Quelle vermuthet. Da aber diese verderbliche Kinderpest – denn diesen Nahmen verdient sie beynahe mit noch größerm Rechte, als die Blattern – in der That hier in Rostock nicht so gar selten ist, sondern unter kleinern und größern Kindern von beyden Geschlechtern den Aerzten Beyspiele genug vorkommen: so halte ich es um so mehr für Pflicht, hiervon zu reden, und bey dieser Gelegenheit alle Mütter nicht nur mißtrauisch gegen jede Amme und Wärterin zu machen, sondern ihnen zugleich die eigene Aufsicht über ihre Kinder recht dringend ans Herz zu legen. Hoffentlich wird manche brave, aber in diesem Stücke unwissende Mutter es mir noch im Stillen danken, daß ich sie an diese ihr unbekannte Quelle vieles physischen Elendes geführt und sie gewarnt habe, wo sie der Warnung bedurfte. [ . . . ]

Die meisten Kinder fangen hier gegen das Ende des ersten Jahres, viele auch später, an zu gehen. Sie lernen es aber nur bey den Aeltern der untern Klasse auf eine der Natur gemäße Art, das heist durch Kriechen und eigene Versuche, sich aufrecht zu halten, und von einer Stelle zur andern zu bewegen. Wer seinen Kindern aber eine Wärterin halten kann, pflegt sie mit einem Fallhut und Laufzaume zu versehen, an welchem sie denn nun unter oft sehr karrikaturmäßigen Bewegungen das Gehen lernen. Oftmals nimmt man ein bloßes Schnupftuch, oder ein breites Band dazu, welches man über die Brust und unter die Arme durchzieht und hinten zusammenhält. Die Laufbänke habe ich nur selten gesehen. Aber alle diese Methoden, den Kindern das Gehen beyzubringen, taugen eigentlich gar nichts. Das Kind drückt sich die Brust zu sehr, gewöhnt sich einen sonderbaren Gang an, ist vor dem Fallen nicht gesichert, und fällt wenigstens desto häufiger, wenn man es sich nun selbst überläßt. In den neuesten Zeiten habe ich aber auch unter den Vornehmern nicht selten gefunden, daß sie ihre Kleinen auf eine naturgemäßere Art das Gehen lernen lassen. Das Aufheben der Kinder bey einem Arm, besonders wenn die Wärterinnen zwey Kinder zugleich unter ihrer Aufsicht haben, kann ich immer nicht ohne Widerwillen ansehen, und es ist auch gewiß keine gleichgültige Sache.

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