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Eine Adlige aus Schleswig-Holstein sinniert über ihre idyllische Kindheit im späten 18. Jahrhundert (Rückblick)

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In Kopenhagen selbst hatte ich viel Umgang. In der Familie meines Onkels, des Grafen Baudissin (seine Gemahlin war die Schwester meines Vaters), war ich wie zu Hause; mit ihr besuchte ich alle Sonntage ein Kinderkränzchen, welches sich abwechselnd in den Häusern Brun, Kirstein, Luetke versammelte. Brun war damals noch ein kleiner Kaufmann; seine Gutmüthigkeit und Jovialität hatten ihm die Liebe der Jugendfreundin meiner Mutter, der nachherigen Dichterin Friederike Münter, gewonnen. Er lebte damals noch in glücklicher, ja zärtlicher Ehe mit ihr, und ihr Haus war der Sitz der Freunde. Vier muntere Kinder waren meine Spielgefährten; die älteste Tochter, Lotte, nannte ich schon Freundin, während die jüngste, die später berühmt gewordene Ida, uns häufig mit ihren drolligen Einfällen belustigte.

Eines dieser großen Kinderzirkel erinnere ich mich mit besonderem Entzücken. Es mag wohl am 27. Januar 1797 gewesen sein. Meine Gouvernante, Fräulein Randahl, hatte ein vortreffliches Mahl in meiner Küche bereitet, die ich zu Weihnachten erhalten hatte und die so groß war, daß ich, die ich ein sehr großes Kind war, aufrecht darin stehen konnte. Zwei Tage hatte die gute sachkundige Randahl gekocht, gebraten und auch das Amt eines Konditors versehen, wobei Charlotte und ich ihr helfen durften. Endlich als dieses herrliche Souper im unteren Saal auf einer, wie mir schien, unabsehbar langen, aber niedrigen gedeckten und servirten Tafel aufgetragen war, da fühlte ich mich überglücklich. An beiden Enden der Tafel machten Charlotte und ich die Honneurs und legten vor; den verdünnten und versüßten Wein kredenzte uns der herrliche Großvater Bernstorff. Ich sehe den großen, edlen, schönen Greis, wie er mit so freundlichem Vergnügen unsere Tafel umkreist, nach manchem der Gerichte fragt, Einiges kostet und unsere wirthschaftliche Geschicklichkeit rühmt; ich höre seine sonore Stimme, mit der er, eines unserer kleinen Gläser ergreifend, Gesundheiten ausbringt: die der ganzen Tischgesellschaft, die des Geburtstagskindes, die des väterlichen Hauses. [ . . . ]



Quelle: Gräfin Elise von Bernstorff, née Gräfin von Dernath, Ein Bild aus der Zeit von 1789 bis 1835. Aus ihren Aufzeichnungen, Bd. 1. Berlin, 1896, S. 1-6.

Abgedruckt in Jürgen Schlumbohm, Kinderstuben, Wie Kinder zu Bauern, Bürgern, Aristokraten wurden 1700-1850. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1983, S. 208-12.

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