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Eine Adlige aus Schleswig-Holstein sinniert über ihre idyllische Kindheit im späten 18. Jahrhundert (Rückblick)

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War die Mutter nicht zu Hause, so unterhielt mich ihre schwarze oder ihre blonde Schilling, zwei Schwestern, die in ihrem Dienst standen, oft auch der Kammerdiener Wald, mit dem ich bekannt geworden war, während er meine Mutter frisirte. In seiner vielseitigen Kunstfertigkeit schuf er mir herrliche Landschaften aus Moos und lehrte mich allerlei Niedlichkeiten. Meine Eltern ruhten indeß nicht, bis sie mir eine Gefährtin gegeben hatten; sie fanden solche in der Tochter eines alten Freundes der Familie, Charlotte Clausewitz, deren Vater gestorben war und die Seinigen in sehr bedrängter Lage hinterlassen hatte. Charlotte, mit mir gleichen Alters und schon früher meine Gespielin, ward mir also als Pflegeschwester beigesellt, während ihr Bruder Gottlob von den Großeltern Bernstorff aufgenommen und von der Großmutter leider sehr verzogen wurde.

Charlotte war ein hübsches, durch ihr stilles melancholisches Wesen für Viele anziehendes Kind; aber sie paßte nicht eben sehr zu ihrer Gespielin, der immer lachenden Lilli (so nannte man mich zu meinem unaussprechlichen Verdruß in meinen jüngeren Jahren). Sie war eine sehr schwermüthige Natur, und sie gefiel sich in dieser Melancholie. Ich erinnere mich meines Erstaunens, als sie, im Alter von 6 bis 7 Jahren, mit sentimentaler Miene mir gestand, daß ihr der todte Baum im Garten lieber sei als der grüne, weil er besser zu ihrer Stimmung passe.

Des Sommers pflegten meine Eltern entweder in Holstein bei den Großeltern Dernath auf deren Gut Hasselburg zu sein oder sich ein Landhaus in der Umgegend von Kopenhagen zu miethen, bis mein Vater späterhin das große Gut Antwortskow kaufte.

Auf einer unserer Reisen nach Holstein erinnere ich mich, im Nebenwagen mit meiner Wärterin fahrend, eingeschlafen und umgeworfen worden zu sein. Ein großer Apfel, den ich in der Hand gehalten, war mir entfallen; durch den Stoß erwachend, sehe ich den Apfel über den Weg rollen und glaube noch mein Zetergeschrei zu hören und das Erstaunen der Umgebung zu bemerken, als mir kein Glied, sondern nur der Apfel fehlte.

Von Hasselburg, dem freundlich-schönen Ort mit der wunderbar großen und herrlichen »Diele«, den kühn emporsteigenden Treppen und der schwindelerregenden Galerie ist mir außerdem nur noch eine Erinnerung geblieben, und zwar eine recht trübselige, die nämlich an meine erste und, ich hoffe, wohl auch meine letzte Lüge und die darauf folgende fürchterliche Strafe. Es war keine der beiden guten Schillinge, sondern die Zofe meiner Großmutter, die mich verführt hatte, verbotene Nüsse zu naschen und es zu verheimlichen. Ich wurde, namentlich bei Tisch, äußerst strenge gehalten, bis später meine Mutter die Zügel, an denen sie mich beim Essen leitete, so ziemlich fahren lassen mußte, als ich ihr an der großen Emkendorfer Tafel unerreichbar wurde, und so nachtheilig diese reichen und zu unerhört später Stunde stattfindenden Diners meiner Gesundheit gewesen sein mögen, so schreibe ich es doch dieser größeren Freiheit in der Wahl der Speisen zu, daß ich aus einem sehr eigenen und wählerischen Kinde eine Person geworden bin, die durchaus Alles gern ißt. Dies zur Beachtung für gar zu strenge Eltern.

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