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Die Kindheit und Jugend eines preußischen Adligen im späten 18. Jahrhundert. Aus den Erinnerungen Friedrich August Ludwigs von der Marwitz (Rückblick)

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Den Sommer [1793] über wurde mein Vater zusehends schlechter. […] Den 19. September, gegen Abend, wie ich eben ausgehen wollte, kam unser Reitknecht geritten; seine Klagen und der schwarz gesiegelte Brief überzeugten mich schon von unserm Unglück, noch ehe ich seinen Inhalt las. [ . . . ]

Den 23. begruben wir ihn. Ich und meine Brüder (sechs und drei Jahr alt) folgten dem Sarge, der unter dem Geläute aller Glocken von sechs Eigentümern getragen, und von der singenden Gemeine gefolgt, zum Torweg hinaus durch den Turm in die Kirche zu der Gruft getragen wurde, in welche ich nachher Mutter, Gattin und drei Kinder (und seitdem den vierten! 1833) begleitet habe, während diese beiden Brüder neben mir ihren Tod auf dem Schlachtfelde fanden! [ . . . ]

Bei der Eröffnung des Testaments und Untersuchung der Erbschaft wurde uns große Sorge gemacht, wir hätten gar nichts, Friedersdorf müsse verkauft werden. Ersteres war ungefähr richtig, letzteres aber falsch. Das nicht unbedeutende Vermögen meiner Mutter war da. – Mein Vater hatte niemals Kapitalien besessen und auch keine ersparen können, weil er das aus den Erbteilen seiner vielen Geschwister schon schuldenbelastete Gut von seinen Brüdern sehr hoch hatte annehmen müssen. – [ . . . ]

Ungeachtet Friedersdorf ein erkauftes Gut, also Allodium, war und nur mit einem Lehnstamm belegt, so war es doch in allen früheren Teilungen wie ein Lehngut behandelt und verloset worden. Mein Vater hatte verordnet, daß bei der großen Jugend meiner Brüder ich es für den Preis annehmen sollte, um den er selbst es besessen hatte. Der Minister Voß, als ein guter Wirtschaftskundiger, brachte eine vorteilhafte Verpachtung zustande; es folgten die zerstörenden Kriegsjahre, wo Preußen Frieden hatte, also die höchsten Preise landwirtschaftlicher Produkte, die jemals existiert haben; die Pächter zahlten immer richtig, und es blieb ein guter Überschuß. Von dem Überschusse erfuhr ich nicht eher etwas, als bis ich majorenn war. Das war sehr gut, denn ich wußte nun nicht anders, als daß ich mich durch eigenen Fleiß und Eifer durch die Welt bringen müsse.

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Nach etwa vierzehn Tagen Aufenthalt in Gusow ging meine Mutter wieder nach Berlin und war nun genötigt, sich nach damaligen Begriffen sehr einzuschränken. Diese Einschränkung bestand darin, daß sie von unserm Quartier (dem unteren Stock des jetzigen Palais des Prinzen Friedrich in der Wilhelmstraße, nebst dem einen Hinterflügel) die kleinere Hälfte vermietete und nur noch vierzehn Zimmer behielt, ebenso die überflüssigen Leute, Pferde, Koch, Kammerdiener, Jäger und Bedienten abschaffte und nur zwei Pferde, einen Kutscher und zwei Bedienten behielt. Später schränkte sie sich noch etwas mehr ein. – Ich kam nun mit siebzehn Jahren in die Lage, eine Art von Familienvater zu werden. Es dauerte nicht lange, so zog meine Mutter mich in allen ihren Angelegenheiten zu Rate; ich unterstützte sie bei der Erziehung meiner jüngeren Geschwister, denen ich auch, wie ich selbst etwas mehr Kenntnisse besaß, selber Unterricht erteilte, und in den letzten Jahren vor meiner Majorennität befragten mich meine Vormünder auch in Friedersdorfschen Angelegenheiten, von denen ich mehr wußte als sie: der Minister Voß wegen seiner vielen Staatsgeschäfte, mein Onkel, weil landwirtschaftliche Dinge nicht seine Sache waren. –

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