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Leopold von Ranke: Auszüge aus seinen Schriften (1824-1881)

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Woher aber konnte dies neu erforscht werden? Die Grundlage vorliegender Schrift, der Ursprung ihres Stoffes sind Memoiren, Tagebücher, Briefe, Gesandtschaftsberichte und urspüngliche Erzählungen der Augenzeugen; andere Schriften nur alsdann, wo sie entweder aus jenen unmittelbar abgeleitet, oder durch irgend eine originale Kenntniß ihnen gleich geworden schienen. Jede Seite zeigt an, welches diese Werke gewesen; die Art der Forschung und die kritischen Resultate wird ein zweites Buch vorlegen, das mit gegenwärtigem zugleich ausgegeben wird.

Aus Absicht und Stoff entsteht die Form. Man kann von einer Historie nicht die freie Entfaltung fordern, welche wenigstens die Theorie in einem poetischen Werke sucht, und ich weiß nicht, ob man eine solche mit Recht in den Werken griechischer und römischer Meister gefunden zu haben glaubt. Strenge Darstellung der Thatsache, wie bedingt und unschön sie auch sei, ist ohne Zweifel das oberste Gesetz. Ein zweites war mir die Entwickelung der Einheit und des Fortgangs der Begebenheiten. Statt daher, wie erwartet werden kann, eine allgemeine Darstellung der öffentlichen Verhältnisse Europa's vorauszuschicken, was den Gesichtspunkt wenn nicht verwirrt, doch zerstreut haben würde, habe ich vorgezogen, von jedem Volk, jeder Macht, jedem Einzelnen, wie sie gewesen, erst dann ausführlicher zu zeigen, wenn sie vorzüglich thätig oder leitend eintreten: unbekümmert darüber — denn wie hätte ihre Existenz immer unberührt bleiben können? — daß schon vorher hie und da ihrer gedacht werden mußte. Hiedurch konnte wenigstens die Linie, die sie im allgemeinen halten, die Straße, die sie nehmen, der Gedanke, der sie bewegt, desto besser gefaßt werden.

Endlich, was wird man von der Behandlung im Einzelnen sagen, einem so wesentlichen Stück historischer Arbeiten? Wird sie nicht oft hart, abgebrochen, farblos, ermüdend erscheinen? Es giebt für dieselbe edle Muster, alte und — man verkenne es nicht — auch neue; doch habe ich sie nicht nachzuahmen gewagt: ihre Welt war eine andere. Es giebt für sie ein erhabenes Ideal: das ist die Begebenheit selbst in ihrer menschlichen Faßlichkeit, ihrer Einheit, ihrer Fülle; ihr wäre beizukommen: ich weiß, wie weit ich davon entfernt geblieben. Man bemüht sich, man strebt, am Ende hat man's nicht erreicht. Daß nur niemand darüber ungeduldig werde! Die Hauptsache ist immer, wovon wir handeln, wie Jakobi sagt, Menschheit wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich: das Leben des Einzelnen, der Geschlechter, der Völker, zuweilen die Hand Gottes über ihnen.



Quelle: Leopold von Ranke, Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514. Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber. Dritte Auflage. Leipzig: Verlag von Duncker und Humblot, 1885, S. V-VIII.

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