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Samuel Pufendorf, Die Verfassung des deutschen Reiches (1667)

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Wir können also den Zustand Deutschlands am besten als einen solchen bezeichnen, der einem Bund mehrerer Staaten sehr nahe kommt, in dem ein Fürst als Führer des Bundes die herausragende Stellung hat und mit dem Anschein königlicher Gewalt umgeben ist. Mit den schweren Krankheiten, von denen dieser Staatskörper heimgesucht wird, werden wir uns im nächsten Kapitel befassen. [ . . . ]

Die Größe und Stärke des deutschen Reiches könnte, wenn es eine monarchische Verfassung hätte, für ganz Europa bedrohlich sein, aber es ist durch innere Krankheiten und Umwälzungen so geschwächt, daß es kaum sich selbst verteidigen kann. Die Hauptursache des Übels ist der unharmonische und ungeordnete Zusammenhang des Staates. Eine noch so große Menge von Menschen ist nicht stärker als ein einzelner Mensch, solange jeder seinen eigenen Weg geht; alle Macht entsteht aus der Vereinigung. Auch wenn mehrere nicht zu einem natürlichen Körper zusammenwachsen können, so einen sich die Kräfte der Vielen doch, sofern sie von einem einheitlichen Entschluß wie von einer Seele sich lenken lassen. Je fester und geordneter diese Einigung ist, desto stärker ist die Gesellschaft; eine lockere und schlechte Verbindung der Glieder führt notwendig zu Schwäche und Krankheiten. Die vollkommenste und besonders auf Dauer angelegte Einigung sieht man in der gut errichteten Monarchie. Denn die Aristokratien sind, abgesehen davon, daß sie fast nur dort überleben können, wo die wesentlichen Kräfte eines Staates auf eine Stadt konzentriert sind, von Natur aus gebrechlicher als Monarchien. Die erlauchte Republik Venedig ist eine Ausnahme, die man zu den Wundern zählt. Staatenbünde, die durch Bündnisse aus mehreren Staaten zusammengefügt sind, hängen weit loser zusammen und fallen leichter inneren Unruhen oder gar der Auflösung anheim. Sollen die Staatenbünde aber dennoch eine gewisse Festigkeit erreichen, so müssen die verbündeten Staaten dieselbe Staatsform haben, das Machtverhältnis untereinander muß annähernd gleich sein, die Verbindung soll allen gleichen Nutzen bringen, und sie soll schließlich nach reiflicher Überlegung und nach zuvor gut ausgearbeiteten Grundgesetzen eingegangen worden sein. Staaten nämlich, die leichtfertig, spontan und ohne vorher die zukünftige Verfassung sorgfältig bedacht und geordnet zu haben in einen Bund schlittern, können ebensowenig einen harmonischen Körper bilden, wie ein Schneider ein vornehmes Kleid verfertigen kann, wenn er den Stoff zugeschnitten hat, bevor feststand, ob es ein Kleid für einen Mann oder für eine Frau werden sollte. Längst hat man auch gesehen, daß kaum je Monarchien und Freistaaten miteinander Bünde nach Treu und Glauben eingegangen sind, weder auf Zeit, geschweige denn auf Dauer; die Fürsten verabscheuen nämlich die Freiheit des Volkes, und das Volk fürchtet den Stolz der Fürsten. Ja, die menschlichen Anlagen sind so verdorben, daß kaum ein Stärkerer gelassen den Schwächeren als Gleichberechtigten betrachten kann. Und wem nichts oder nur ein winziger Teil der gemeinsamen Vorteile bleibt, der weigert sich auch, die gemeinsamen Lasten zu tragen.

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