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Der Journalist Josef Joffe denkt über die Quellen deutschen Stolzes nach (2001)

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Unehrlich ist aber auch, wer aus „Nation“ gleich „Nationalismus“ macht und „Patriotismus“ als „nationale Arroganz“ denunziert. Das sind Totschlagargumente, die in einer Reihe mit „Skinhead-Meyer“ stehen. Ist es des Demokraten eiserne Pflicht, sich jede Vokabel von den Glatzen klauen zu lassen? Das hieße, ihnen den Sieg vorauseilend zu gewähren – den Schurken zu überlassen, was denn politisch korrekt sei. Stattdessen müssen die Demokraten die Begriffe richtig ausfüllen. Wenn denn ein Deutscher stolz auf diese Bundesrepublik sein will, muss er nicht in der braunen Brühe fischen – nicht im Ressentiment gegen andere, nicht im Geraune über Volk und Vaterland.

Er kann darauf verweisen, dass auf einem autoritär und totalitär verseuchten Boden eine Demokratie Wurzeln geschlagen hat, die in mancher Hinsicht liberaler ist als die französische oder britische. Die Vergangenheit? Sie wird auch nach 56 Jahren nicht entsorgt; Erinnerung und Verpflichtung sind zur Staatsräson geworden. Ein übermächtiger Staat? Die Macht ist nur in der Schweiz kräftiger zersplittert. Ausgrenzung von Fremden? Spät, aber doch hat sich das Recht auf Einbürgerung neben dem archaischen Prinzip des Völkischen durchgesetzt. Deutschtümelei? Die Antwort liefert ein einziges Wort: Europa.

Wer stolz auf diese Leistungen sein will, darf's gern sein, weil auch der wildeste Träumer sie den Deutschen 1945 nicht zugetraut hätte. Bloß wär's ein besonderer Stolz: einer, der sich nicht in Selbstgefälligkeit oder Überhebung erschöpft – und schon gar nicht in der Arroganz gegenüber dem Anderen. Ein solcher Stolz hätte überdies den feinen Vorteil, dass der Bekunder nicht wie ein nervöser Gorilla trommeln müsste. Er hätte die Selbstversicherung nicht nötig und würde mit der Gelassenheit von Amerikanern und Franzosen an seine Nation denken. Und mit einer Zuneigung, die mehr ist als ein lebenswichtiger, aber blutarmer „Verfassungspatriotismus“.

Verfassungspatriotismus ist die austauschbare Regeltreue, die jeder liberale Rechtsstaat einfordern kann. Zuneigung aber ist die Antwort auf die Frage: Warum lebe ich unter diesem Gesetz, nicht einem anderen? Es ist eine leise Antwort – just mit der Gelassenheit vorgetragen, die der „eifernden Klasse“ in diesem Land noch fehlt. Aber es geht voran, wenn ein ehemaliger Juso-Chef namens Schröder „stolz auf sein Land ist“, auf „seine demokratische Kultur“. Mit derlei Stolz können wir gut leben – unsere Nachbarn und Freunde auch.



Quelle: Josef Joffe, „Deutsch und Stolz“, Die Zeit, Nr. 13, 22. März 2001.

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