GHDI logo

Der sozialdemokratische Vordenker Peter Glotz warnt vor einer falschen Normalisierung (1994)

Seite 3 von 5    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Aber Syberberg ist kein Solitär, sondern ein Symptom, der hochsensible, untaktisch offenherzige Repräsentant der Identitätsphilosophie einer nach der Vereinigung wiedererstarkenden deutschen Bildungsbourgeoisie. Er steckt mit einem Bein im feinen nationalrevolutionären Lager, der Mathes- und Seitz-Kultur, bei den Rechts-Foucaultianern, mit dem anderen aber tief in der hergebrachten Innerlichkeit jener Deutschlehrertruppe, die das berühmte Lied »Die Amis haben uns unseren Hölderlin/Bratwurst weggenommen und durch Negermusik und Hamburger ersetzt« intonieren. Syberbergs wagnerianischer Antisemitismus (ein hochmütiges Ressentiment gegen die Ästhetik von Adorno, Bloch, Benjamin, Marcuse, Kracauer) mag man abziehen, dazu schwingen sich Steffen Heitmanns Verehrer noch nicht auf, vielleicht nie wieder auf. Ansonsten bot Syberberg schon an der Jahreswende 89/90 das, was Botho Strauß und Alain Finkielkraut erst 1993 rausließen und was die schwächeren der von Arbeitslosigkeit, Aids und polnischen Autoknackern geängstigten Absolventen integrierter Oberstufen frühestens 1995 denken werden. Der Normalisierungs-Nationalismus, dargestellt am Beispiel des verstiegenen, aber keineswegs untypischen (und keineswegs gleichgültigen) Künstlers Syberberg enthält sechs Ingredienzen, sechs Diskurse.

(1) Das ist erstens die ganz gewöhnliche Mythisierung von Geschichte, also die Herauspräparierung der Helden- und Leidensstories, der »Epen«, der großen symbolischen Erzählungen, in denen die nationalen Ikonen modelliert werden.
[ . . . ]

(2) Der zweite Lernschritt ist die Landnahme, auch eine bekannte Konstruktion. Syberberg hat da einen Preußen-Tick, den nicht jeder Normalisierungs-Nationalist mitmachen mag, »Preußen als das Rückgrat Europas«, Preußen als Kleistland (»Kleist brachte sich um, als er sein Land im Elend sah und keinen Ausweg für sich«). Wirksam und plausibel ist aber die Behauptung einer unlöslichen Verbindung zwischen Land und »Menschenkulturen«. Entscheidend ist das »Gedächtnis« – »ganz gleich wer da noch wohnt«. [ . . . ]

(3) Das dritte Motiv ist Authentizität und Ethnizität, das Plädoyer für »Natur« und gegen die »Plastikwelt«, gegen die »billigen, bequemen, schnellen Wegwerfwaren wie Punk, Pop und Junk«, also das in nationalen Kreisen auf der ganzen Welt beliebte Verdammungsurteil gegen Massen- und gegen kulturelle Phänomene. [ . . . ]

(4) Zur Feier der »Echtheit« und »Ursprünglichkeit« gesellt sich der Klassikdiskurs, nichts Neues natürlich, im deutschen Sprachraum zuletzt von Hans Sedlmeier (Verlust der Mitte), Emil Staiger und Dutzenden anderen immer wieder aufgewärmt, aber fürs nationale Biotop doch von konstitutiver Bedeutung. [ . . . ]

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite