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Der Beitrittsbeschluss der Volkskammer (24. August 1990)

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Lafontaine würdigte die Menschen und Gruppen, die den Prozeß der Vereinigung Deutschlands möglich gemacht hätten. Er erinnerte an die in der DDR politisch Verfolgten, die dort den Wunsch nach Demokratie lebendig erhalten hätten. Sie hätten deutlich gemacht, daß ein Unterdrückungssystem, welches ein Paradies in ferner Zukunft verspreche, zum Scheitern verurteilt sei. Auch die Flüchtlinge aus der DDR – Lafontaine nannte Peter Fechter – hätten ihren Beitrag geleistet. Sie hätten der Welt gezeigt, daß die DDR stets ein System der Unterdrückung gewesen sei.

Ohne die Bürgerrechtsgruppen in der DDR und auch ohne die Kirchen dort wäre der Demokratisierungsprozeß nicht möglich gewesen. Lafontaine erinnerte auch an den Beitrag der polnischen »Solidarität«, der tschechoslowakischen »Charta 77«, Gorbatschows und Mitterrands. Er nannte die Westpolitik Adenauers und die Ostpolitik Brandts, würdigte den von der Regierung Schmidt unterstützten KSZE-Prozeß, nannte aber auch den Anteil Kohls und dessen Gespräche mit Gorbatschow im Kaukasus.

Der SPD-Kanzlerkandidat sagte, nun müsse der Prozeß der Vereinigung Deutschlands demokratisch und europäisch organisiert werden. Das Volk müsse über seine Verfassung entscheiden, weshalb ein Verfassungsrat einen Entwurf für eine Volksabstimmung vorlegen solle.

Lafontaine mahnte, über die Einheit Deutschlands die Vereinigung Europas nicht zu vergessen. Es werde eines Tages eine europäische Nation geben müssen. Der »Nationenbegriff« müsse sich an dem der Vereinigten Staaten orientieren. Die Werte der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, dürften nicht auf eine nationale Sicht beschränkt werden, sondern müßten universalistisch verstanden werden. Mit Blick auf die »Armutswanderung« aus Osteuropa sprach sich Lafontaine dafür aus, die sozialen Voraussetzungen für die Integration der Menschen zu schaffen.

Lafontaine forderte ein weiteres Mal, die Kosten der Einheit zu klären. Lafontaine verlangte die Gleichwertigkeit von Wehr- und Zivildienst. Kohl warf er vor, den Prozeß der Einigung »im Alleingang« gestalten zu wollen, was ein Fehler gewesen sei. Auch sei es ein Fehler der Bundesregierung gewesen, den Menschen in der Bundesrepublik zu sagen, im Zuge der Einheit Deutschlands müsse niemand auf etwas verzichten. Damit sei die »Voraussetzung für Solidarität« entfallen. Er kündigte an, in der DDR werde es soziale Härten geben, und in der Bundesrepublik würden die Menschen »auf einiges verzichten müssen«.




Quelle: „Ein Tag der Freude für alle Deutschen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. August 1990, S. 1. © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

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