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Ernst Dronke: Auszüge aus Berlin (1846)

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Aus diesen Tatsachen geht hervor, daß einzelne bei ihrer Arbeit nicht mehr als 2 bis 5 Silbergroschen den Tag verdienen; daß sie von dieser Summe in Berlin nicht zu existieren vermögen, liegt auf der Hand, aber selbst wenn sie durch ihren Verdienst ihre Existenz gleichmäßig zu erringen imstande wären, würde dies auf das Verhältnis des Proletariats nicht im geringsten höher in Anschlag zu bringen sein. Sie arbeiten ohne Rast einen Tag wie den anderen um die Existenz des Tages. Welche „Ordnung" ist dies aber, welche einer großen Masse das Recht zum Leben, welches sie doch von Natur haben, entzieht und spricht: ihr müßt euch dieses Recht erst verdienen durch die anstrengendste, anhaltendste Arbeit! Aber glücklich sind diese, welche es noch zu verdienen imstande sind. Die Arbeit ist bei der wachsenden Masse zum Hasardspiel geworden. Die Löhne, welche wir hier mitteilen, betreffen den glücklichsten, begünstigsten Teil. Es ist angenommen, daß ihnen die Besitzenden das Recht des Lebens, welches sie ihnen entzogen, wieder zu verdienen Gelegenheit geben; es ist angenommen, daß sie jung, kräftig und unabhängig von Familiensorgen sind; es ist angenommen, daß sie Arbeit finden und durch die Gnade des Besitzes ihr Leben geschenkt bekommen. Die nächste Stufe von diesen glücklichen, unabhängigen Leuten, welche von morgens bis abends arbeiten dürfen, um nur zu vegetieren, bilden diejenigen, welche keine feste Arbeit haben oder in ihrer Familie durch kranke Eltern, Frau oder Kind verhindert sind. Die ersteren sind die sogenannten kleinen Meister. Diese Leute sind nicht wie die Gesellen auf festen Verdienst angewiesen, noch können sie, wenn es an einem Orte schlecht geht, sich weiter umsehen. Sie sind an ihre Werkstätte gebunden und müssen zu ihrer Erhaltung wöchentlich ihr Gewisses verdienen. Die kleinen Meister arbeiten daher die Woche hindurch oft ohne Sicherheit, bloß auf die Möglichkeit hin, ihre Arbeit am Ende der Woche zu verwerten. Dazu zwingt sie die Notwendigkeit, das Recht ihres Lebens durch Arbeit zu erkaufen. Ferner aber sind sie gewöhnlich gezwungen, die jedesmalige Arbeit bis zum Ende der Woche fertig zu liefern, weil sie meist die Auslagen dazu erborgt haben und solche, um neuen Kredit zu bekommen, am Ende der Woche abzahlen müssen. Ist ihnen dies nicht möglich, so haben sie für die folgende Woche keine Arbeit und keine Existenz. Nun suchen sie, wenn sie nicht zufällig unter der Hand verkauft oder Bestellung erhalten haben, am Sonnabend ihre Arbeit an die Händler zu verkaufen. Diese Händler, kleine Besitzende, welche nichts arbeiten, sondern nur ihr Geld im Handel spielen lassen, kennen die kleinen Meister und ihre Verhältnisse genau. Sie wissen, daß die Unglücklichen ihre Arbeit um jeden Preis verwerten, da die Gesellen und das Material für die Arbeit bezahlt werden müssen; so bieten sie denn auch den Meistern einen Spottpreis für ihre Ware, indem sie über die schlechten Zeiten klagen und ihre wohlgefüllten Magazine zeigen. Der Meister ist immer genötigt, seine Ware zu dem gebotenen Preis loszuschlagen, und wenn er seine Gesellen und den geborgten Stoff wiederbezahlt, hat er kaum soviel, daß er mit seiner Familie vegetieren kann. In der folgenden Woche fängt das Lied von neuem an, und dabei ist immer vorausgesetzt, daß ihn kein Unfall betrifft. Seine Arbeit muß tadellos sein, wenn er nicht alles daran verlieren soll; eine einzige Krankheit, Taufe oder Begräbniskosten eines Kindes sind imstande, ihn rettungslos in noch tieferes Elend, das heißt ganz außer „Brot" zu setzen. In Berlin gibt es unter anderem nahe an 4000 selbständige Schneider aller Art, von denen zwei Drittel keine hinreichende Bestellung haben. Dagegen findet man 206 Kleiderhändler, welche von den geschäftslosen Meistern ihre Vorräte zu Spottpreisen beziehen. Die Konkurrenz derselben wird in manchen Monaten noch durch die sogenannten Arbeiter-Kompanien vermehrt; auch der Staat konkurriert zuweilen mit den Gewerben, wenn die Vorräte für das Militär vervollständigt sind, werden die Arbeiter-Kompanien entlassen, und diese Leute, welche natürlich billiger arbeiten können als andere, bieten sich den Händlern und Meistern für Lumpenpreise an. Für Verfertigung einer Hose nehmen sie 4 bis 5 Silbergroschen und die Gesellen und kleinen Meister können während dieser Zeit feiern. Die Zahl der selbständigen Schuhmacher beläuft sich in Berlin auf 3000, und ihr Verhältnis zu den Händlern ist, wenn auch nicht ganz dasselbe, doch ähnlich wie das der Schneider. 837 selbständige Seidenwirker arbeiten fast sämtlich für 113 Händler oder sogenannte Fabrikanten, welche im Besitz eines Kapitals den Handel auf Kosten der unsicheren Gewerbetätigkeit ausbeuten. Die Zahl der Tischler, welche vor allem jene Samstagswallfahrten nach der Gnade der Händler anstellen, beläuft sich auf 2000: auf diese kommen 123 Möbelhandlungen und zwischen 3000 bis 4000 Gesellen. Die Zahl der Weber beträgt 20 000, und diese Leute können auch im „glücklichen" Fall der Arbeit von ihrem Verdienst nicht leben. Andere Gewerbe, wie das der Schornsteinfeger, haben ihre bestimmte Zahl*, welche von Magistrats und Polizei wegen nicht erhöht werden darf.


*Fünfzehn.

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