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Willy Brandt über internationale Auswirkungen der Vereinigung (5. Februar 1990)

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BRANDT: Ich bin nicht zufrieden damit, was bis jetzt – Anfang Februar – in den Fachministerien vorbereitet worden ist. Die Damen und Herren lebten bislang noch unter dem Eindruck, die andere Seite müsse erst Vorleistungen erbringen, man selbst habe Zeit und käme mit Marginalbeträgen davon. Doch das hat keine Zeit und verlangt von uns die Bereitschaft zu umfänglichen, auch und gerade finanziellen Leistungen.

Ich habe ja nichts dagegen, daß man Planspiele macht, wann sich welche Gremien in Berlin oder sonstwo versammeln. Was soll ich schon gegen Berlin haben! Dieses Deutschland wird im übrigen föderalistisch und europäisch eingebunden sein, oder es wird nicht sein. Die Ministerpräsidenten-Konferenz wird vermutlich eher zusammentreten mit Einschluß der fünf Ministerpräsidenten der DDR, als es eine gemeinsame deutsche Regierung oder die Regierung einer Föderation, die man auch Konföderation nennen kann, gibt.

SPIEGEL: Soll die Bundesregierung die nötigen Vereinbarungen noch mit der Regierung Modrow treffen oder bis nach den Wahlen in der DDR warten?

BRANDT: Keiner wird was dagegen haben, wenn eine Reihe wichtiger Eckpunkte jetzt vorbereitend festgehalten werden.

SPIEGEL: Können Sie sich vorstellen, daß die Bundestagswahlen ausfallen?

BRANDT: Nein, das glaube ich nicht. Wenn wir allein nach der Modrowschen Tagesordnung vorgehen, ist das nicht in einem halben Jahr zu schaffen. Aber: Auf den Weg kann vieles gebracht werden. Doch von dem, was Modrow vorschlägt, wird noch keiner satt. Und auch er – bei allem Respekt – weiß ja, daß andere Vorschläge folgen werden.

SPIEGEL: Sie halten es mit jenen, die meinen, schon mit der Einheit brächen bessere Zeiten an?

BRANDT: Jemand hat ja sogar gesagt, jemand, den ich wichtig nehme: Viele, die „Einheit“ oder „Wiedervereinigung“ rufen, meinen Wohlstand. Dann sage ich: Na und! Willst du denen das übelnehmen? Wenn das aber so ist, dann ist das ein zusätzliches Argument für meine Argumentation, daß mit der Ankündigung staatlicher Organe oder verfassungsähnlicher Dokumente zunächst noch kein einziges praktisches Problem gelöst ist.

SPIEGEL: Säße Ihr Oberenkel Oskar Lafontaine an unserer Stelle, würde er sagen, der Zugang zu den Fleischtöpfen hat mit Einheit der Deutschen nichts zu tun. Stünden die Töpfe nicht hier, sondern in Polen, gingen die Leute dorthin.

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