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Massendemonstration auf dem Berliner Alexanderplatz
(4. November 1989)

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Wir sehen aber die Bilder der immer noch Weg-Gehenden und fragen uns: Was tun? Und hören als Echo die Antwort: Was tun! Das fängt jetzt an, wenn aus den Forderungen Rechte, also Pflichten werden. Untersuchungskommission, Verfassungsgericht, Verwaltungsreform. Viel zu tun. Und alles neben der Arbeit. Und dazu noch Zeitung lesen. (Klatschen) Zu Huldigungsvorbeizügen, verordneten Manifestationen werden wir keine Zeit mehr haben. (Starker Applaus)

Dies ist eine Demo, genehmigt, gewaltlos. Wenn sie so bleibt bis zum Schluß, wissen wir wieder mehr über das, was wir können. Und darauf bestehen wir dann. (Starker Applaus).

Ein Vorschlag für den 1. Mai: Die Führung zieht am Volk vorbei. (Zurufe, Klatschen, starker Applaus)

Alles nicht von mir. Das ist literarisches Volksvermögen. Unglaubliche Wandlung. Das Staatsvolk der DDR geht auf die Straße, um sich als Volk zu erkennen. Und dies ist für mich der wichtigste Satz dieser letzten Wochen – der tausendfache Ruf: Wir sind das Volk! (Starker Applaus) Eine schlichte Feststellung und die wollen wir nicht vergessen. (Applaus) [ . . . ]


Christoph Hein, Schriftsteller:

Liebe mündig gewordene Mitbürger. Es gibt für uns alle viel zu tun und wir haben wenig Zeit für diese Arbeit. Die Strukturen dieser Gesellschaft müssen verändert werden, wenn sie demokratisch und sozialistisch werden sollen. Und dazu gibt es keine Alternative. Es ist auch von den schmutzigen Händen, von den schmutzigen Westen zu sprechen. Verfilzung, Korruption, Amtsmißbrauch, Diebstahl von Volkseigentum, das muß aufgeklärt werden, und diese Aufklärung muß auch bei den Spitzen des Staates erfolgen, sie muß dort beginnen. (Klatschen)

Hüten wir uns davor, die Euphorie dieser Tage mit den noch zu leistenden Veränderungen zu verwechseln. Die Begeisterung und die Demonstrationen waren und sind hilfreich und erforderlich. Aber sie ersetzen nicht die Arbeit. Lassen wir uns nicht von unserer eigenen Begeisterung täuschen. Wir haben es noch nicht geschafft. Die Kuh ist noch nicht vom Eis. (Klatschen) Und es gibt noch genügend Kräfte, die keine Veränderung wünschen, die eine neue Gesellschaft fürchten und auch zu fürchten haben. (Klatschen) [ . . . ]

Schaffen wir eine demokratische Gesellschaft (klatschen), auf einer gesetzlichen Grundlage, die einklagbar ist. Einen Sozialismus, der dieses Wort nicht zur Karikatur macht. Eine Gesellschaft, die dem Menschen angemessen ist und ihn nicht der Struktur unterordnet. Das wird für uns alle viel Arbeit geben, auch viel Kleinarbeit, schlimmer als Stricken. Und noch ein Wort. Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter, offenbar glauben viele, die Veränderungen in der DDR sind schon erfolgreich, denn es melden sich jetzt viele Väter dieses Erfolgs. Merkwürdige Väter. (Klatschen)

Bis hoch in die Spitze des Staates. Aber ich denke, unser Gedächtnis ist nicht so schlecht, daß wir nicht wissen, wer damit begann, die übermächtigen Strukturen aufzubrechen. Wer den Schlaf der Vernunft beendete. Es war die Vernunft der Straße. Die Demonstrationen des Volkes. (Klatschen)

Ohne diese Demonstrationen wäre die Regierung nicht verändert worden, könnte die Arbeit, die gerade erst beginnt; nicht erfolgen. (Klatschen) Und da ist an erster Stelle Leipzig zu nennen. (Klatschen)

Ich meine, der Oberbürgermeister dieser Stadt sollte im Namen der Bürger Berlins, da wir alle mal hier zusammenstehen, dem Staatsrat und der Volkskammer vorschlagen, die Stadt Leipzig zur Heldenstadt der DDR zu ernennen. (Starker Applaus) [ . . . ]

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