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Der Verein deutscher Studenten: Leipziger Studenten gedenken der ersten zehn Jahre (1881-1891)

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Im Jahre 1889 trat eine Erschlaffung ein; es gab nur noch 2 Abteilungen, eine volkswirtschaftliche und eine Fechtabteilung; an Stelle der kolonialpolitischen Abteilung belegten allerdings 12 Mitglieder die Vorlesung von Prof. Hasse über Kolonien; erst im S.-S. 93 ist diese Abteilung wieder eingerichtet worden. Das W.-S. 89/90 erlebte die erste Niederlage bei der Lesehallenwahl und den Verlust der beiden ständigen Sitze im Ausschuß für freiwillige Krankenpflege. Die Mitgliederzahl sank auf unter fünfzig; die Chronik erwähnt zum ersten Male, daß die Studentenschaft jetzt im großen und ganzen national fühle, daß der Verein eine Korporation neben den bestehenden geworden sei und seine Hauptaufgabe in der Erziehung seiner eigenen Mitglieder liege. Die Kneipen werden als „einförmig und wenig belebt“, die Fuxenerziehung als schlecht bezeichnet, und im Jahresbericht heißt es: „keine Lust der Mitglieder zu Vorträgen“. Es zeigt sich also ein Rückgang auf geistigem wie auf geselligem Gebiet. Seit dem S.-S. 1890 hob sich die theoretische Vereinstätigkeit wieder, indem zu den bisherigen Abteilungen wieder eine juristische und eine theologische hinzutraten, und im S.-S. 91 wurde auch eine Literarische Abteilung errichtet. In diesem Semester trat auch eine sogenannte „Freiwillige Abteilung“ zusammen, um die sozialdemokratischen Arbeitervereine zu studieren.

Im Wintersemester 1881/82 war ich von Heidelberg nach Leipzig übergesiedelt. Ein mächtiger Strom vaterländischen Idealismus durchrauschte damals die Herzen der deutschen Studenten. Es galt, die großen Errungenschaften, welche sich das deutsche Volk unter der gewaltigen Führung Bismarcks erkämpft hatte, und die sich in der ehrwürdigen Person des greisen Kaisers Wilhelm I. so einzigartig ehrfurcht- und liebeheischend krönend verkörperten, gegen unheimliche innere Feinde zu schützen. Das zersetzende Gift jüdischen Geistes mit seinem witzelnden Zynismus und der damals auf unheilvolle Bahnen irregeleitete Internationalismus der aufstrebenden Sozialdemokratie nagten an dem herrlichen Werk. In der Einfuhr und Pflege gallischer Frivolität in unsere Literatur und in den verabscheuungswürdigen Attentaten auf unseren vatergütigen Kaiser waren sie erschreckend zutage getreten. Zu ihrer Abwehr innerhalb der akademischen Jugend war der V. D. St. auch in Leipzig gegründet worden. Er war der Sammelort aller bewußt deutschen Gesinnung und so damals der geistige Mittelpunkt des akademischen Lebens. Bei einer seiner großen Veranstaltungen – war es sein erstes Stiftungsfest? – lernte ich ihn kennen. Der Eindruck war überwältigend. Der große Saal überfüllt mit Kommilitonen, darunter ganze farbentragende Verbindungen in corpore; an der Mitteltafel zu beiden Seiten des Präsidiums ungefähr 80 Professoren. Der Schwung, die flammende Begeisterung der Reden, die männliche Wucht der vaterländischen Gesänge hinreißend. Aber den Höhepunkt erreichte der Abend, als sich Geh. Kirchenrat Prof. Luthardt zur Festrede erhob. Ich habe in meinem Leben einige wenige Männer kennen gelernt, in denen die Macht der Beredsamkeit, dieser großen aber oft auch so gefährlichen Gabe des menschlichen Genius, unmittelbar innerlich und äußerlich Körper gewonnen zu haben schien. Luthardt gehörte zu ihnen. Seine hohe Gestalt, sein mächtiger Kopf mit dem schlichten, langen, nach hinten gestrafften Haar, das die hohe Stirn völlig frei gab, sein edles Profil, seine hageren, durchgeistigten Züge gaben ihm das majestätische Aussehen eines Propheten, der mit höheren Mächten im Bunde stand. Und dem entsprachen Inhalt und Form seiner Rede. Welche Fülle tiefer Gedanken strömten dahin in der Kraft und der Pracht seiner Worte! Welche Größe und Reife echt religiöser und vaterländischer Gesinnung! Wie konnte er in Warnung, Mahnung, Aufruf erschüttern, erwecken, begeistern! Auch mein Gewissen hatte er gepackt. Noch am selben Abend schrieb ich mich mit manchem andern in die Listen des Vereins ein. Luthardt, Ehrenmitglied des Vereins, ist in jenen Semestern der gute Genius des Vereins gewesen und geblieben. Mit dem Eindruck seiner Persönlichkeit konnte sich kein anderer der Professoren messen. Und doch wie mancher wackere Mann hat damals zu uns gehalten! Ich gedenke z. B. des Professors der Geschichte

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