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Ernst Dronke über Volkstheater, bürgerliches Theater und die königliche Bühne in Berlin (1846)

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Die Proletarier und die ärmeren Volksklassen haben indes in einigen Winkeln der Hauptstadt noch ihre besonderen Kunstanstalten. Eine derselben befindet sich in der Nähe des Tiergartens vor dem Tore. Das Theater besteht hier aus einem kleinen dunklen Bretterhäuschen, welches sehr charakteristisch die „wackelnde Wand" benamt ist. Die Truppe besteht aus einer Familie von Mann, Frau und einigen Kindern, welche sich dies Geschäft jedoch bloß zur Anlockung von Gästen für ihr Schenklokal erwählt hat. Es verkehren hier die Ärmsten, Besitzlosesten aus der arbeitenden Klasse, Schifferknechte, Tagelöhner und arbeitslose Handwerker; auch die Prostitution in ihrer tiefsten Erniedrigung ist an diesem Ort zu finden. Die Zuschauer sitzen auf hölzernen Bänken oder auf der Erde und sehen für ein Eintrittsgeld von 1½ Groschen die fabelhaftesten Burlesken und unsinnigsten, zusammenhanglosesten Darstellungen. Schnaps und ein leichtes bierähnliches Getränk gehen in der Runde umher, und nicht selten mischen sich die Zuschauer selbst in die traurige Komödie der Spielenden. Das Ende pflegt gewöhnlich der Art zu sein, wie es die Trunkenheit und die sittliche Vernachlässigung dieser Leute aus der „Hefe des Volkes" nicht anders erwarten läßt; daß die Polizeidiener und Gendarmen, welche stets in der Nähe sind, die Lage der Dinge nicht zu ändern und zu bessern vermögen, brauchen wir wohl nicht besonders zu bemerken. Einige „geordnete" Theateranstalten dieser Art, welche in den Vierteln zerstreut liegen, sind im Grunde nicht anders beschaffen; Dienstmägde, Handwerker, welche nach der Arbeit hier ihren Genuß suchen, bilden das Publikum, und nicht selten endet hier die Versammlung mit Schlägereien, bei welchen sich der Zorn der Parteien zuletzt gegen die Polizeigewalt richtet. Es sind die einzigen Orte, wo das „Volk" seinen geistigen Genuß, seine geistige Erholung sucht, und wenn der Zustand der Verhältnisse hier der allerkläglichste ist, so möge man bedenken, daß den besitzlosen Volksklassen nichts anderes gegeben wird.

Die königliche Bühne ist ihrer ganzen Einrichtung nach, wie schon angedeutet, der Vergnügungs- und Ergötzungstempel für den reicheren Besitz. Das neue Opernhaus ist sicherlich eins der großartigsten, das nicht nur Deutschland, sondern der Kontinent besitzt, während das Schauspielhaus mit seinem Konzertsaal für die französische Komödie einem kleineren Teil der Bevölkerung seine Unterhaltung bietet. Man wird glauben, daß in einer Stadt wie Berlin außerordentlich viel für dieses Hauptvergnügen der besitzenden Gesellschaft getan werden müsse; aber unter der gegenwärtigen Regierung, oder vielmehr seit der Berufung des Herrn von Küstner aus München zum Generalintendanten in Berlin haben sich so viele und heftige Stimmen über den Mangel eines der großen Residenzstadt würdigen Kunstgenusses erhoben, daß es sich der Mühe verlohnt, den gegenwärtigen Zustand des Hoftheaters unter der Leitung des Chevalier Küstner besonders ins Auge zu fassen.

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