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Gustav Freytag beschreibt einen Wahlkampf der Liberalen in Erfurt (21. und 30. Januar 1867)

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Mit dem Bewußtsein einen schwarzen Frack und graue Hosen anzuhaben, also grade die richtige Mischung von Hochachtung und Vertraulichkeit, begann ich meinen Punsch zu rühren, mit Gemüth, aus alten vielerprobten Sätzen der Grenzboten, mit tiefsinnigen Betrachtungen über Menschenleben und Schicksal. Das gefiel den guten Kerlchen [ . . . ]. Die Grobheit entschied die Sache, die Stern Lucius ging unter, ich wurde mit großem Geschrei und Händeschütteln als Erwählter proclamirt, ein Bildhauer erbot sich, mich zu modelliren, ein Hofphotograph forderte Sitzungen, der Verleger der Thüringischen Zeitung erklärte, seine Frau sei entbunden und ich als Gevatter wünschenswerth, ein Bauer aus Windisch-Holzhausen hielt mir eine kleine Rede und sprach den Wunsch aus, „Soll und Haben“ zu besitzen, er könne sichs recht wohl kaufen, aber ihm sei lieber, wenn ichs ihm schenke. Und über uns baumelte freundlich die alte Theatergardine.

Am andern Tag [ . . . ] vertröstete [ich] den Bildhauer, saß dem Photographen, nahm ein Vice-Gevatterfrühstück bei dem neuen Vater ein und sandte dem Bauer das Buch, während mein Comité mit Löwenkühnheit vorging.

Der Wahlkreis, der mich wählen soll, besteht aus allen kleinen Lappen von preußischem Tuch, welche in Thüringen und Franken aufgenäht sind. Suhl und Schleusingen, dann Ziegenrück und Ranis in einer wenig bekannten Wildniß, wohin dem Vernehmen nach nur Saumpfade führen, dann Gefell und andere Enklaven an Baiern, endlich Wandersleben. Von allen Seiten kommen die Forderungen meiner Herren Wähler, daß ich zu ihnen komme und ihnen eine Abendunterhaltung schaffe, und die Correspondenz mit einflußreichen Rechtsanwälten und Gastwirthen wird riesenhaft. Ach, dies allgemeine Wahlrecht ruinirt den Charakter, funfzig Jahre habe ich mich um Popularität nicht gekümmert, und jetzt sende ich einen Blumenstrauß an eine Wöchnerin, von der ich nicht weiß, ob sie einen Jungen oder ein Mädel taufen läßt, und schüttle hundert guten Freunden die Hand, deren Namen ich nicht weiß und niemals wissen werde. Pfui, Bismarck, das war kein Meisterstreich. Und zuletzt wird doch noch irgend ein Andrer gewählt!

[ . . . ]


Ew. Hoheit
treugehorsamster
Freytag.




Quelle: Gustav Freytag, Leipzig, an Herzog Ernst von Coburg, Briefe vom 21. Januar 1867 (Teil I) und 30. January 1867 (Teil II); abgedruckt in Gustav Freytag und Herzog Ernst von Coburg im Briefwechsel 1853 bis 1893, Hg. Eduard Tempeltey. Leipzig: S. Hirzel, 1904, S. 212-17.

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