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Friedrich Fabri, Bedarf Deutschland der Kolonien? (1879)

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Und wo hätten wir solche denn dann in fernen, überseeischen Ländern?

Freilich gibt es eine stark entwickelte deutsche Handels-Marine, die alle Meere durchfurcht, und welcher einen gewissen Schutz zu gewähren unser Interesse, wie unsere nationale Pflicht gebietet. Wir theilen daher vollständig das Verlangen, daß die deutsche Kriegsflagge sich in allen Meeren zeige, daß sie in Ost-Asien, in der Südsee, in Mittel- und Süd-Amerika, wo immer halbbarbarische Zustände es erheischen, zu Demonstrationen und, wenn nöthig, zu kleinen, raschen Aktionen bereit sei. Aber diese Interessen verlangen keine Schlachtenflotten, keine viele Millionen verschlingende Panzer-Colosse, die für die fraglichen Aufgaben ja auch völlig unbrauchbar sind. Ein Paar Dutzend tüchtige, schnellsegelnde, kleinere Kriegsfahrzeuge würden hierzu wohl völlig ausreichen. Außer diesen wäre natürlich ein vollständiger Schutz unserer im Ganzen ziemlich schwer zugänglichen deutschen Küsten, mit den besten Vertheidigungs-Mitteln ausgerüstet, unter allen Umständen nöthig gewesen. Bekanntlich geht aber unser Flotten-Gründungsplan über diese Bedürfnisse weit hinaus; und überdies fallen unsere gewaltigen Rüstungen zur See in einen Zeitpunkt, wo das ganze Seekriegswesen in einer höchst kritischen Lage sich befindet. Die Frage: ob Panzer? ob Geschütz? ob Stärke? ob Schnelligkeit? ist noch nicht abgeschlossen, wird sich aber, trügt nicht Alles, immer mehr zu Gunsten der Letzteren entscheiden. [ . . . ]

Oft leitet ein Stadium des Unbewußten, des Halbbewußten die folgenreichsten Entwicklungen ein, und man sieht erst nach einiger Zeit aus der Retrospektive, warum die Dinge eigentlich so kommen mußten. Wir hoffen dies auch von unserm Flotten-Gründungsplan, der ja heute kein Plan mehr ist, sondern eine bald völlig ausgeführte Thatsache, mit der man als solcher zu rechnen hat. Auch wir würden uns gerne gewöhnen, die vollendete Thatsache freudig zu begrüßen, wenn unser umfassender Flotten-Gründungsplan mit dazu führte, unseren Seemacht-Bestrebungen einen realen, praktisch greifbaren, unserm staatlichen Gemeinwesen wahrhaft förderlichen Hintergrund zu geben. Einen solchen aber kann das Deutsche Reich nur in der Inangriffnahme einer einsichtsvollen und energischen Colonial-Politik gewinnen. Dies wäre, wie wir überzeugt sind, der einzige Weg, unsere ausgedehnte Kriegs-Marine auf die Dauer haltbar, d.h. die bedeutenden, auf sie fallenden Kosten productiv zu machen. [ . . . ]

Wir könnten noch einen vierten Gesichtspunkt, der der Behandlung der hier aufgeworfenen Frage förderlich ist, beifügen. Man hat die Gegenwart wohl auch ein Zeitalter der Reisen und geographischen Studien genannt. In diesen Stücken sind wir Deutschen in letzter Zeit denn auch wacker an der Arbeit. In allen Welttheilen sind Landsleute auf wissenschaftlichen Forschungsreisen thätig. Die Zahl unserer meist recht tüchtigen geographischen Zeitschriften, wie unserer geographischen Gesellschaften ist in stetem Wachsen; der Sinn für geographische, ethnographische und anthropologische Studien ist durch wissenschaftliche Forschungen und populäre illustrirte Darstellungen kräftig geweckt und heute ungleich weiter, als in früheren Jahrzehnten, unter uns verbreitet. Das ist gewiß erfreulich. Aber sollen wir auch in diesen Gebieten nur die für alle Welt sammelnden und forschenden Theoretiker sein und bleiben? Sollen wir fortwährend von der Studirstube aus in allen Welttheilen wohl zu Hause sein, ohne irgendwo in überseeischen Gebieten ein nationales Heim wiederzufinden? Ist das eine Lage, die, wir wollen nicht sagen, mit unserer nationalen Ehre, sondern mit dringenden nationalen Bedürfnissen sich auf die Dauer verträgt? [ . . . ] Sollte Kaiser und Reich, sollten Reichskanzler, Bundesrath und Reichstag nicht auch daran denken, das Ihrige zu thun, um dem neuen Reiche ein Stück der alten Handelsmacht wieder zu gewinnen? und ihm, wenn auch verspätet, zu colonialem Besitz, dessen es zu seinem ökonomischen Bestande auf die Dauer gar nicht entrathen kann, zu verhelfen?

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