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Theodor Fontane beschreibt eine konservative Wahlkampagne im ländlichen Brandenburg (1880er Jahre)

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Als Dubslav wieder draußen war, war natürlich die große Frage: »Ja, was jetzt tun?« Es ging erst auf elf, und vor sechs war die Geschichte nicht vorbei, wenn sich's nicht noch länger hinzog. Er sprach dies auch einer Anzahl von Herren aus, die sich auf einer vor dem Gasthause stehenden Bank niedergelassen und hier dem Liqueurkasten des »Prinzregenten«, der sonst immer erst nach dem Diner auftauchte, vorgreifend zugesprochen hatten.

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Gegen vier war man von dem Ausfluge zurück und hielt wieder vor dem »Prinzregenten«, auf einem mit alten Bäumen besetzten Platz, der wegen seiner Dreiecksform schon von alter Zeit her den Namen »Triangelplatz« führte. Die Wahlresultate lagen noch keineswegs sicher vor; es ließ sich aber schon ziemlich deutlich erkennen, daß viele Fortschrittlerstimmen auf den sozialdemokratischen Kandidaten, Feilenhauer Torgelow, übergehen würden, der, trotzdem er nicht persönlich zugegen war, die kleinen Leute hinter sich hatte. Hunderte seiner Parteigenossen standen in Gruppen auf dem Triangelplatz umher und unterhielten sich lachend über die Wahlreden, die während der letzten Tage teils in Rheinsberg und Wutz, teils auf dem platten Lande von Rednern der gegnerischen Parteien gehalten worden waren. Einer der mit unter den Bäumen Stehenden, ein Intimus Torgelows, war der Drechslergeselle Söderkopp, der sich schon lediglich in seiner Eigenschaft als Drechslergeselle eines großen Ansehns erfreute. Jeder dachte: der kann auch noch mal Bebel werden. »Warum nicht? Bebel is alt, und dann haben wir den.« Aber Söderkopp verstand es auch wirklich, die Leute zu packen. Am schärfsten ging er gegen Gundermann vor. »Ja, dieser Gundermann, den kenn ich. Brettschneider und Börsenfilou; jeder Groschen is zusammengejobbert. Sieben Mühlen hat er, aber bloß zwei Redensarten, und der Fortschritt ist abwechselnd die 'Vorfrucht' und dann wieder der 'Vater' der Sozialdemokratie. Vielleicht stammen wir auch noch von Gundermann ab. So einer bringt alles fertig.«

Uncke, während Söderkopp so sprach, war von Baum zu Baum immer näher gerückt und machte seine Notizen. In weiterer Entfernung stand Pyterke, schmunzelnd und sichtlich verwundert, was Uncke wieder alles aufzuschreiben habe.

Pyterkes Verwunderung über das »Aufschreiben« war nur zu berechtigt, aber sie wär es um ein gut Teil weniger gewesen, wenn sich Unckes aufhorchender Diensteifer statt dem Sozialdemokraten Söderkopp lieber dem Gespräch einer nebenstehenden Gruppe zugewandt hätte. Hier plauderten nämlich mehrere »Staatserhaltende« von dem mutmaßlichen Ausgange der Wahl und daß es mit dem Siege des alten Stechlin von Minute zu Minute schlechter stünde. Besonders die Rheinsberger schienen den Ausschlag zu seinen Ungunsten gehen zu sollen.

»Hole der Teufel das ganze Rheinsberg!« verschwor sich ein alter Herr von Kraatz, dessen roter Kopf, während er so sprach, immer röter wurde. »Dies elende Nest! Wir bringen ihn wahr und wahrhaftig nicht durch, unsern guten alten Stechlin. Und was das sagen will, das wissen wir. Wer gegen uns stimmt, stimmt auch gegen den König. Das ist all eins. Das ist das, was man jetzt solidarisch nennt.«

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