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Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin (1876)

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Der „Kulturkampf“ war den Juden ein gefundenes Fressen, und sie können davon nicht genug bekommen. Der „Kulturkampf“ soll den Börsen- und Gründungsschwindel vergessen lassen, über die schwere Krisis und den allgemeinen Nothstand täuschen. Wenn die Katholiken so klug wären, mit der Staatsregierung ihren Frieden zu machen – und es scheint jetzt, als ob die Geneigtheit dazu auf beiden Seiten vorhanden ist – würde man bald den gemeinsamen Feind erkennen; die wahren Reichsfeinde, welche den Ruf des Deutschen Volkes so arg geschädigt, den Glanz des jungen Reiches so schnell getrübt haben. Darum ist die „National-Zeitung“ voll Sorge und Unruhe, und sie ruft: Kein Ausgleich! Wir verlangen die unbedingte Unterwerfung der Klerikalen! Selbst das Wort „Frieden“ ist ihr anstössig, und sie schalt die „Provinzial-Correspondenz“, die es gebraucht hatte. Als man im Reichstag Miene machte, sich nach gewissen fragwürdigen Eisenbahn-Prioritäten zu erkundigen, die dem Reichsinvalidenfonds angeschmiert sind, drohte die „National-Zeitung“, dem Centrum wie einem kleinen Kinde, mit der „grossen und schreckhaft aussehenden schwarzen Mappe“ des Reichskanzlers, welche über die Katholiken neue Kirchengesetze ausschütten werde; und um solch unliebsame Erkundigungen möglichst zu beschwichtigen, um den „Scandal“ zu beschwören, begann sie ihrem gefürchteten Gegner, Herrn Windthorst zu schmeicheln, und sie schmeichelte sogar Herrn Bebel. Zu Anfang der Reichstagssession schwebte sie in grösster Angst, dass die Regierung sich von der Manchester-Politik lossagen werde; bis ein Artikel der „Provinzial-Correspondenz“ sie wieder aufathmen liess. „Es bleibt beim Alten!“ jubelte sie, und lobte begeistert plötzlich den „ernsten getragenen Stil“ des officiösen Organs. Aber die Strafrechtsnovelle brachte sie wieder in Verlegenheit, und sie wusste nicht, wie sie sich drehen und wenden sollte. Einerseits zog sie Fürst Bismarck, andererseits schämte sie sich doch vor der Nation, fürchtete sie die bevorstehenden neuen Wahlen. „Alle Strafrechtsparagraphen der Welt können den Schaden nicht wieder gut machen, wenn die Einigkeit zwischen Regierung und Reichstagsmehrheit in Frage gestellt wird!“ jammerte sie; und sie war dann auch wirklich wieder zu einem Compromiss bereit. Beim Jahresschlusse weist sie sich an die Brust und declamirt: „Fürst Bismarck ist eine in sich geschlossene Persönlichkeit, und die Nationalliberalen sind noch viel unwandelbarer.“ (!!) Nun, wir werden sehen! Wir wollen abwarten, was die Nationalliberalen und die Manchesterleute, um sich am Ruder zu erhalten, noch für Sprünge vollführen werden, und was bei den nächsten Wahlen von ihnen übrig bleiben wird!

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Meine Artikel haben in der öffentlichen Meinung einen grossen Umschwung herbeigeführt: die Gründer und Gründergenossen sind moralisch bereits gerichtet. Und auch die Nemesis schreitet vor – freilich noch sehr langsam. Schon nahm sich mancher jener Elenden das Leben; neuerdings packt auch hin und wieder Einen der Staatsanwalt.

Wie ich wohl nicht erst betonen darf, gehen diese Aufsätze weit hinaus über Jobber und Gründer, über Börse und Judenschaft. Sie richten sich gegen die Corruption in der Gesellschaft, die von oben bis unten mit unsaubern Elementen durchsetzt ist. Sie richten sich gegen die Corruption in der Presse, die im Grossen und Ganzen unendlich gesunken, eine feile Dirne geworden ist. Sie richten sich gegen die Corruption in den Parlamenten, die einer scharfen Säuberung bedürfen. Möge das Deutsche Volk sich bei den nächsten Wahlen vorsehen, möge es sich die Gründer und Gründergenossen wohl merken! Wenn Herr Lasker in Betreff seiner politischen Freunde, die da gegründet haben, zwischen soliden und unsoliden Gründungen, zwischen solider und unsolider Theilnahme daran, unterscheiden will, so ist das blosse Sophistik. Es giebt aus der Zeit der Schwindelperiode keine solide Gründung und keinen soliden Gründer oder Mitgründer. Wer beim Gründen geholfen, ist dafür auch bezahlt worden, und zwar stets auf Kosten der geschorenen Actionäre. Wer als Volksvertreter und Gesetzgeber wirken will, muss vor Allem reine Hände haben: die aber hat kein Gründer und kein Gründergehilfe!



Quelle: Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. Leipzig: Paul Froberg, 1876, S. 5-9, 30-35.

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