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Antrag des Herzogtums Nassau auf völlige Emanzipation der Juden (1846)

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Herr Deputierter Eberhard: Der umfassenden Rechtfertigung des Herrn Antragstellers kann ich nur meine Zustimmung geben und derselben in gleichem Sinne noch einige Worte anfügen. Ein altes, merkwürdiges Volk, durch die Geschichte hinlänglich bekannt, dessen Größe und früherer Glanz in dem grellsten Kontraste mit seiner dermaligen Lage stehen, zerstreut in alle Welten und geteilt in deren verschiedene Länder, vielfach verfolgt und gänzlich unterdrückt, ohne allen Zusammenhang, finden wir diese ehrwürdigen Trümmer einer vormaligen großen Nation unter dem Drucke des Schicksals ihre Sprache, Sitten und Religion getreulich bewahren und gegen feindselige Angriffe mit Erfolg verteidigen – welche Erscheinungen nicht allein eine allgemeine Teilnahme rechtfertigen, sondern auch zugleich zur Bewunderung auffordern. Ein minder kräftiges Volk, unter ähnlichen ungünstigen Verhältnissen, würde längstens seinem harten Geschicke erlegen und spurlos verschwunden sein. Dem fortschreitenden Geiste unseres Zeitalters bleibt es vorbehalten, diese Tatsachen zu würdigen und die begangenen Fehler früherer Jahrhunderte möglichst auszugleichen. Es tut dem deutschen Vaterlande not, einer jeden existierenden Spaltung, oder von welcher Seite her eine solche noch anrücken mag, und daraus erfolgender Zersplitterung seiner Kräfte nicht allein entschieden entgegen zu treten, sondern auch dieselben zugleich durch das allgemeine Band der Liebe zum gemeinsamen Vaterlande innigst zu vereinigen. Mit Unrecht beschuldigt man die Juden des Hanges zum Betrug und der damit in Verbindung stehenden andern Laster. Die Schuld daran fällt vielmehr auf deren Bedrücker. Man gestatte Ersteren die freie Wahl eines jeden beliebigen Gewerbes, und dieser Vorwurf wird von selbst in Nichts zerfallen. Aber zurückgedrängt auf nur wenige Erwerbsquellen, noch dabei übersetzt von Konkurrenz der Glaubensgenossen, erzeugt die Not der Selbsterhaltung Erscheinungen, die bei freistehender Bewegung nicht erfolgen würden.

Nur eine vollkommene Gleichstellung mit den übrigen Bürgern des Landes wird die Juden nicht allein von bisherigen, durch die Not betretenen Abwegen abhalten, sondern auch dieselben ihrem Vaterlande, welches sie bis dahin nur stiefmütterlich behandelt, innigst verpflichten und sie zugleich anspornen, demselben im freundschaftlichen Verbande mit ihren christlichen Nachbaren diejenigen Dienste zu leisten, die man von ihren ausgezeichneten Anlagen erwarten darf. Auf diese Gründe gestützt trage ich ebenfalls auf völlige Emanzipation der Juden an.

Herr Deputierter Siebert: Der Herr Antragsteller zeichnet uns die Juden der jetzigen Zeit von so vorteilhafter Seite, daß man fast verleitet werden möchte, selbst ein Jude zu werden. Recht gut weiß der Herr Deputierte, wie derselbe in seiner Begründung zeigt, daß zu jeden guten Bilde Licht und Schatten gehören; zu bedauern ist es aber, daß er in dem uns vorgestellten Gemälde das Licht von den Juden und den Schatten von den Christen genommen hat. Ich wünschte nur gleiche Erfahrungen wie der Herr Deputierte gemacht zu haben; leider ist dies aber nicht der Fall. Ich habe gefunden, daß besonders Juden die Not der Ärmeren nur zu sehr als Mittel zur Bereicherung benutzen. Übrigens kenne ich auch sehr brave und redliche Juden, deren Emanzipation ich freudig unterstützen würde. Was der Herr Deputierte weiter sagt, dem ältesten Sohne stehe nur das Recht zu, auf Schutz Anspruch zu machen, die anderen seien verdammt, ehe- und kinderlos zu bleiben, beruht auf einem Irrtum. Nach unsern Gesetzen soll allerdings nur dem ältesten Sohne einer Israelitenfamilie der Schutz als Handelstreibender gegeben werden. Dieses Gesetz wird übrigens sehr schonend angewendet, indem ich selbst Familien kenne, wovon fünf Söhne Handelsleute und sämtlich verheiratet sind. Dagegen sagt auch noch das Gesetz, daß den nachgeborenen Söhnen, wenn sie sich jedem anderen Gewerbe widmen, der Schutz nicht versagt werden kann. Zu bedauern ist, daß so wenige hiervon Gebrauch machen. Ebenso sind nach meiner Überzeugung die Juden in der Besteuerung gegen die Christen eher begünstigt als benachteiligt.

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