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Auszüge aus der Flugschrift von Gabriel Riesser zur Emanzipation der Juden (1831)

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10. Es giebt nur eine Taufe, die zur Nationalität einweihte: das ist die Taufe des Bluts in dem gemeinsamen Kampf für Freiheit und Vaterland! „Ihr Blut hat sich mit dem unsrigen auf den Schlachtfeldern vermischt", das war das Machtwort, womit man in den Französischen Kammern die letzten ohnmächtigen Regungen von Unduldsamkeit und Abneigung zu Boden schlug. Auch die Deutschen Juden haben sich diesen vollgültigen Anspruch auf Nationalität vollgültig erworben. Die Juden sind in Deutschland allenthalben kriegspflichtig; sie waren es allenthalben vor den Befreiungs-Kriegen. Es haben in diesen Kriegen Juden als Freiwillige sowohl, wie als Kriegspflichtige, in verhältnißmäßiger Anzahl, in den Reihen der Deutschen gekämpft; es hat sich in den Heeren verschiedener Staaten eine nicht unbeträchtliche Anzahl durch persönliche Auszeichnung Ehrenstellen erworben. Es ist ein notorisches Faktum, daß z. B. in Preußen im Laufe des Krieges mehrere solche Fälle vorgekommen, daß man hingegen seit der Zeit des Friedens keine solche Avancements mehr hat Statt finden lassen, vielmehr den Juden in der Armee die Taufe als eine unerläßliche Bedingung jeder Beförderung vorgeschrieben worden:*) ein unabweislicher Beleg für die doppelte Wahrheit, daß sich Juden im Kriege für das Deutsche Vaterland wirklich ausgezeichnet haben, und daß sie nur durch wirkliche Auszeichnung Beförderung zu erhalten im Stande sind. Und gerade die gesetzliche Möglichkeit des Avancements ist es, von der die Gesetze mehrerer Deutscher Staaten, z. B. Badens, die Juden ausschließen, und diese Ausschließung ist gerade einer von den Punkten, auf deren Aufhebung das Bestreben nach bürgerlicher Gleichstellung am entschiedensten gerichtet ist. Man hat es nirgends verschmäht, auf den zu Ehren der im Befreiungs-Kriege gefallenen Krieger errichteten Denkmälern die Namen der Juden neben die der Christen zu setzen;**) man würde es abermals nicht verschmähen, wenn das Deutsche Vaterland seine Söhne wieder zu den Waffen riefe! Aber den Lohn der Ehre für die Tapferkeit seiner Söhne, wenn sie nicht christlichen Glaubens sind, hat das Vaterland vieler Orten nicht zu ertheilen! Die Waisen der Gefallenen haben nicht den Trost, daß ihr Vater für das Vaterland, dem sie im vollen Sinne des Worts als gleich berechtigte Bürger angehören, sein Leben hingegeben! Der letzte Seufzer der Sterbenden wird nicht durch den Gedanken erheitert, daß ihre Waisen Kinder des Vaterlandes sind, das ihnen den Vater geraubt; er kann ihnen nur ein Stiefvaterland hinterlassen, das sie, wo es ihre Rechte gilt, als Fremde betrachten möchte! Das ist das geltende Recht, das sind die Gesetze, die man vor Eurem Gewissen, Deutsche Gesetzgeber, durch künstliche Phrasen rechtfertigen will. Fragt Euer Gewissen: es wird Euch antworten!



*) Ich bitte, dieses Faktum und ähnliche an die Frage, die Hr. Dr. P. S. 97 stellt, zu halten, „ob es denn seit vielen Jahren irgend ein Beispiel gebe, daß eine der sanctionirten Kirchen Juden durch Vortheile zu Proselyten zu machen versucht habe?"
**) Mit Schaudern, erzählte mir ein Freund, habe er in Lübeck in der Marienkirche Namen von Juden unter den Namen der Gefallenen gelesen. Diese Stadt hat nämlich nach dem Befreiungs-Kriege die Juden, die zur Zeit der Französischen Occupation in die Stadt gezogen waren, wieder ausgetrieben; jene Unglücklichen hatten also das Unglück und die Schmach ihrer Glaubensgenossen und Angehörigen mit ihrem Blute erkauft.


Quelle: Gabriel Riesser, Vertheidigung der bürgerlichen Gleichstellung der Juden gegen die Entwürfe des Herrn Dr. H. E .G. Paulus: den gesetzgebenden Versammlungen Deutschlands gewidmet. Altona: Johann Friedrich Hammerich,1831, S. 25, 29-31, 33-34, 42-45, 53-54, 56-57.

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