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Rudi Dutschke fordert die Enteignung des Springer-Verlags (10. Juli 1967)

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SPIEGEL: Ihre Reden wurden gelegentlich wegen solcher Wendungen als versteckte Aufforderungen zur Anwendung von Gewalt gedeutet. Predigen Sie Gewalt?

DUTSCHKE: Aufruf zur Gewalt, zu Mord und Totschlag in den Metropolen hochentwickelter Industrieländer – ich denke, das wäre falsch und geradezu konterrevolutionär. Denn in den Metropolen ist im Grunde kein Mensch mehr zu hassen. Die Regierenden an der Spitze – ein Kiesinger, Strauß oder was auch immer – sind bürokratische Charaktermasken, die ich ablehne und gegen die ich kämpfe, die ich aber nicht hassen kann, wie einen Ky in Vietnam oder Duvalier in Haiti.

SPIEGEL: Diese Differenzierung – Gewalt dort, keine hier – erklärt sich für Sie...

DUTSCHKE: ...aus dem prinzipiellen Unterschied im Stand der geschichtlichen Auseinandersetzung. In der Dritten Welt: Haß der Menschen gegen die Form der direkten Unterdrückung, repräsentiert durch Marionetten; darum Kampf gegen diese. Bei uns: Attentat auf unsere Regierungsmitglieder – das wäre absoluter Irrsinn; denn wer begreift nicht, daß bei uns heute jeglicher an der Spitze austauschbar ist. Die terroristische Gewalt gegen Menschen ist in den Metropolen nicht mehr notwendig.

SPIEGEL: Sie verneinen also Gewalt nicht grundsätzlich, sondern nur unter den obwaltenden Umständen?

DUTSCHKE: Ganz sicher wird niemand behaupten können, daß es überhaupt keine Gewalt innerhalb des Prozesses der Veränderung geben wird. Gewalt ist Konstituens der Herrschaft und damit auch von unserer Seite mit demonstrativer und provokatorischer Gegengewalt zu beantworten. Die Form bestimmt sich durch die Form der Auseinandersetzung. In Berlin hat sich die Gewalt auf seiten der Senatsexekutive exemplarisch in der Erschießung von Benno Ohnesorg tatsächlich gezeigt. Wir können nun innerhalb dieser Auseinandersetzung nicht sagen: Greifen wir mal zu den Maschinengewehren und führen wir die letzte Schlacht.

SPIEGEL: Sondern?

DUTSCHKE: Sondern wir müssen ganz klar sehen, daß unsere Chance der Revolutionierung der bestehenden Ordnung nur darin besteht, daß wir immer größere Minderheiten bewußtmachen: daß das antiautoritäre Lager immer größer wird und damit beginnt, sich selbst zu organisieren, eigene Formen des Zusammenlebens findet – in Berlin eine Gegen-Universität etwa, oder Kommunen oder was auch immer. Gleichzeitig muß das Bestehende unterhöhlt und Neues herausgebildet werden.



Quelle: Rudi Dutschke, „Wir fordern die Enteignung Axel Springers“, Der Spiegel, 10. Juli 1967, S. 30-33; abgedruckt in Wolfgang Kraushaar, Hg., Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946-1995. Hamburg, 1998, Bd. 2, S. 268-69.

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