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Sozialdemokratische Betrachtungen über „Wirtschaftswachstum oder Lebensqualität?” (11. April 1972)

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2. Neue Maßstäbe

Daß wirtschaftliches Wachstum nicht als Maßstab für den Fortschritt taugt, wird bald nicht mehr umstritten sein. Daß die Verdoppelung des Schlaftablettenkonsums innerhalb von sieben Jahren – eine Leistung, die sicher nicht nur die USA aufzuweisen haben – sich statistisch als Erhöhung des Lebensstandards niederschlägt, wird bald ebenso als Kuriosum gewertet werden wie die Tatsache, daß die Arbeit der Hausfrau im eigenen Haushalt nicht in das Bruttosozialprodukt eingeht, wohl aber die – bezahlte – Arbeit im fremden Haushalt. Die Lebensqualität eines Kleinkindes dürfte jedenfalls ziemlich genau proportional zu der Zeit sein, in der die Mutter sich auf das Kind konzentrieren kann.

Im übrigen gibt keine der gängigen Rechnungsarten darüber Auskunft, ob das wirtschaftliche und menschliche Potential eines Landes sorgfältig genutzt, teilweise verschwendet oder bereits überbeansprucht wird, ob damit mehr oder minder dringende Bedürfnisse befriedigt werden, ob Investitionen die Zukunft sichern oder gefährden.

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Daß qualitative Maßstäbe unvergleichbar viel schwieriger zu finden sind als quantitative, ist kein Grund, nicht danach zu suchen. So verstehe ich auch die Anregung von Sicco Mansholt in dem Brief, den er am 9.2.1972 an Malfatti schrieb. Mansholt will bekanntlich den Begriff der „utilité nationale brute“ an die Stelle des Bruttosozialprodukts setzen.

Neue Maßstäbe brauchen wir auch für Wissenschaft und Technik. Das kann nicht heißen, daß Affekte gegen Wissenschaft und Technik uns weiterhelfen, erst recht nicht ein romantisches „Zurück zur Natur“.

Es kommt nicht darauf an, den menschlichen Erfindungsgeist zu frustrieren, sondern ihn auf neue Aufgaben zu lenken. Wie es eine umweltfeindliche Technik gibt, so kann es auch eine umweltfreundliche geben.

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