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Eugen Richter und Max Weber über Bismarcks Vermächtnis (1890 und 1917/18)

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Erst eine spätere Generation wird ein vollkommen gerechtes Urteil über den Fürsten Bismarck fällen. Wir sind der Meinung, die Nachwelt wird seine 28 jährige Wirksamkeit in ihrer Gesamtheit weniger in den Himmel heben, als es die Mitwelt vielfach getan hat. Vor den Augen der letzteren kam voll und ganz zur Geltung, was er für die Einheit des Vaterlandes getan; aber wie seine falsche innere Politik an dem Volksleben gesündigt, das wird in seinem ganzen Umfang erst späteren Generationen zum vollen Bewußtsein gelangen, die noch unter den Nachwirkungen dieser Politik zu leiden haben werden.

Diejenigen Staatsmänner, welche die Erbschaft anzutreten haben, sind wahrlich nicht zu beneiden. Es wird noch gar vieles anders werden müssen im deutschen Reich, wenn es gelingen soll, die bösen Folgen einer langjährigen Mißregierung zu überwinden. Aber nachdem der blinde Autoritätskultus, den man mit der Person des Fürsten Bismarck getrieben, gegenstandslos geworden, wird man hoffentlich in allen Kreisen des Volkes die Schäden jener Politik schärfer als bisher erkennen. Vor allem hoffen wir, daß nunmehr in Deutschland überall wieder ein kräftiges, selbstbewußtes, politisches Leben erwacht. Statt in stumpfer Passivität hinzuhorchen, was von oben kommen wird, muß man sich wieder überall mit dem Gedanken durchdringen, daß das Volk selbst berufen ist, an seinem Geschicke mitzuarbeiten. Auf die Dauer wird kein Volk anders regiert, wie es regiert zu werden verdient.



Quelle: Freisinnige Zeitung, Nr. 68, 20. März 1890.

Abgedruckt in Gerhard A. Ritter, Hg., Das Deutsche Kaiserreich 1817-1914. Ein historisches Lesebuch, 5. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992, S. 260-62.

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