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Erinnerungen an das Sedanfest in den 1870er Jahren (Rückblick, 1930)

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Schöbel und Fischer war bald geräumt. – Aufgeregt rannte die Schuljugend den ganzen Vormittag durch die Straßen, „Die Wacht am Rhein“, „Habt ihr in hohen Lüften“, „Heil dir im Siegerkranz“ schon vorzeitig singend, und ungern kehrte man zum Mittagessen nach Hause. Das wurde in Hast hinuntergeschlungen, und dann ging das Quälen an: „Mama, es ist schon halb eins – ich muß mich anziehen!“ – Die Haupt- und Staatsaktion, das Anlegen des weißen Festkleides, ging unter heftiger Ungeduld vor sich. Wir, in späteren Jahren nämlich auch meine kleinen Schwestern, hatten gestickte Mullkleider mit farbigen Seidenschärpen. Daß die Röcke eigentlich, von Tante Hannchen gestickt, zu Unterröcken bestimmt, aber von Mama als viel zu schade erklärt und durch Beifügung eines Mulleibchens zu Kleidern gewandelt worden waren, konnte ihren festlichen Charakter nicht herabsetzen. – Längst vor der festgesetzten Zeit war man fertig und stürzte aus dem Hause. Aufatmend konnten die betreffenden Mütter – denn wie ich machten es doch alle Kinder – dann erst an sich selber denken.

Zwischen 2 und ½3 Uhr war es dann wohl so weit, daß der Zug sich in Bewegung setzen konnte. Zuerst kam der Polizeigewaltige als ordnende Macht, hinter ihm die Musik und dann die Schulen. Als erste die Wernersche höhere Privat-Mädchenschule, alle Kinder weiß mit blauen Schärpen, blauweißen Schulterschärpen, blauweißen Ballons. Daß die Stadt solchen Vorrang vor ihren Schulen zuließ, geschah wohl nur, weil die Offizierstöchter zu den Wernerschen gehörten. Daß diese eine blauweiße Schulfahne hatten, die Sattlermeister Maue, in dessen Hause in der Glogauer Straße die Schulräume Fräulein Werners lagen, der Mädchenschar vorantrug, machte uns „Städtische“ noch neidischer. Uebrigens war die gehobene städtische Mädchenschule die nächste im Zuge, dann kamen die Knaben, und hinter einem neuen Musikkorps folgten die Elementarschulen. Die Vereine, Krieger-, Sänger-, Schützenvereine usw. schlossen sich an. So ging es durch die Steinstraße, über den Markt, die Schloß- (jetzt Schaedestraße) entlang, die Roßstraße und die Dammstraße weiter, über die Oderbrücke und auf der Chaussee hin bis zu Bergemanns Ecke. Hier trennten sich Gruppen des Zuges ab, nämlich die Knaben-Abteilungen, weil für diese die Wiesen bei „Tivoli“ und am Kähmenschen Wege zum Festplatz bestimmt worden waren, während die Mädchen weiterziehen mußten nach Hundsbelle. Auf den Oderwiesen hinter dem Dorf war Raum genug, und nun entwickelte sich hier ein lebhaftes Treiben. Uebrigens haben die Knabenabteilungen nur einmal getrennt von den übrigen gefeiert. Es stellten sich ja für die betreffenden Eltern große Unbequemlichkeiten heraus, wenigstens für die, welche Kinder beider Geschlechter beim Feste hatten und sich nun „teilen“ mußten. Man blieb später näher beieinander auf den Hundsbeller Wiesen, auf denen deshalb das Grummet vorher geschnitten wurde. Die Knaben feierten meist in der Nähe von „Joachims Berg“ (Jägerheim), die Mädchen hinter den Grundstücken Nr. 1 und 2. Die leibliche Versorgung wurde von den Inhabern der Gartenlokale übernommen, doch sah es damit bei dem Menschengewimmel nicht zum besten aus. Weise Eltern nahmen zur Vorsorge selbst das Nötige mit. Die Volksschüler erhielten übrigens Freitrunk – Kaffee – nebst einer frischen Buttersemmel, und ihre Lehrerschaft hatte dafür zu sorgen, daß jedem sein Teil ward. Was für unsägliche Mühe so ein „Kinderfest“ für die Lehrer bedeutet, haben wir damals nicht begriffen, die Elternschaft auch nicht. Selbst mein Vater antwortete dem stöhnenden Lehrer Kohlstock achselzukkend: „Ach, das ist doch weiter nichts, ein bißchen spielen! Was haben Sie denn davon für Arbeit!“ – Seine Töchter haben es Jahre hindurch am eigenen Leibe erfahren, was Kinderfest für den Lehrer bedeutet – eine Quelle der Freude wohl, aber unendlich mehr noch der Mühen und Lasten – den geernteten Aerger und Undank nicht geachtet.

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